Der schnelle Euro mit dem Besuch

Airbnb-Gründer Brian Chesky trifft seine Berliner Gemeinde – um Wohnraummangel geht es dabei nicht

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 4 Min.
Ab 1. Mai gilt in Berlin das Zweckentfremdungsverbot für Ferienwohnungen. Die Airbnb-Community bleibt locker – und beschäftigt sich lieber mit sich selbst.

Heute werden wir ihn kennenlernen. Unseren Meister, den Erfinder eines Lebensgefühls, den so lässig Gebliebenen: Brian Chesky, der 32-jährige Gründer und CEO der Onlineplattform Airbnb. Wir, das sind die Hosts, die ihre Wohnungen dort anbieten. Und die sein 10-Milliarden-Dollar-Unternehmen groß gemacht haben.

Noch ist es ruhig im »Tante Emma«, typisch Kreuzberg etwas zwischen Salon und Müllhalde. Hosts trudeln ein, Cheskys Team scharwenzelt mit Klammeraffen-Grinsen um sie herum. Jedes Airbnb-Profil wird gecheckt: Hier kommen nur die ersten 100 rein.

Altbekannte treffen sich wieder und begrüßen sich erleichtert. Der Rest hält sich an gratis Weinschorle und Hühnerhäppchen fest. Oder vertreibt sich die Zeit mit dem Fotografen und seinen Accessoires: Ein Mittdreißiger posiert mit Sonnenbrille und Schnurrbart-am-Stiel vor grüner Tapete.

Der durchschnittliche Airbnb-Host heute Abend: zwischen 25 und 40 Jahren alt, männlich, Jungunternehmer und auch ansonsten ziemlich hip. Der Raum ist mittlerweile geschwängert von Gesprächsfetzen: »Mein Pitch«, »mein Start-Up«, oder bescheidener »mein Projekt« kommt in fast jedem vor.
Auch Jayden* ist selbstständig, als IT-Berater. Geld macht er aber hauptsächlich mit Airbnb. Zwei Zweiraumwohnungen in Rixdorf vermietet er, eine davon für satte 1700 Euro im Monat. Und seine eigene WG im luxussanierten Stalinbau am Frankfurter Tor. Ohne Gäste auf Zeit könnten sich er und sein Mitbewohner die 1400 Euro dafür gar nicht leisten. Durch ein Airbnb-Zimmer kommt aber die halbe, im Sommer sogar die komplette Wohnungsmiete in die Kasse. Eine Wohnung mieten, sie teurer weitervermieten: »Hat mein Vater schon gemacht« – lange bevor es Airbnb gab, erzählt der 28-Jährige. Jayden weiß Bescheid: »Du musst die Preise hoch ansetzen, dann hältst du die Kiddies fern«, sagt er und meint damit jugendliche Partytouristen. »Die bringen nur Ärger.« Und zweitens: »Du musst die Nachbarn kennen und sofort reagieren, wenn sich jemand beschwert«, rät der Berliner. »Sonst sagen die dem Vermieter Bescheid oder sammeln Unterschriften oder so.«

Mark* hat davor keine Angst. Bei ihm wissen die Vermieter nicht nur Bescheid – sie haben den 37-Jährigen selbst beauftragt, ihre Eigentumswohnungen auf Airbnb einzustellen. 14 Stück betreut er derzeit, alle in der Nähe vom Schlesischen Tor, wo er auch selbst wohnt. Mit diesem Job könnte es bald vorbei sein: Ab 1. Mai sind Ferienwohnungen genehmigungspflichtig. Dann gilt das Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Mark baut auf die Übergangszeit: »Zwei Jahre kann ich auf alle Fälle so weiter machen.«

Einen zahnlosen Papiertiger nennen Mietervereine die neue Regelung. Auch die professionellen Gastgeber nehmen sie nicht ernst. »Die müssen erst mal klären, was eine Ferienwohnung ist!« »Wohnraummangel muss man beweisen!« »Die Großen wollen nur mitverdienen!« – der Grundtenor ist verärgert, aber nicht verunsichert. Keiner hier will sich den Start-Up-Spirit versauen lassen. Denn oberflächlich ist nicht der schnelle Euro das Zugpferd von Airbnb, sondern das Ideal einer Shared Economy: eine Wirtschaft von Menschen für Menschen, die sich selbst organisieren. Eine, die der Gesellschaft dient, nicht Konzernen und Großinvestoren.

Dann ist ER plötzlich da. Brian Chesky betritt seine Bühne, einen Cafétisch inmitten seiner Gäste. Alles jubelt: Unser persönlicher Mark Zuckerberg, zwar ohne Hoodie, aber in Lederjacke. Die Rede ist dann denkbar knapp, »You are amazing, guys!« in Variationen. Chesky verschwindet im Pulk seiner Fans. Die nächsten zwei Stunden wird er damit verbringen, Visitenkarten auszutauschen und Menschen zu ihren Unternehmensideen zu beraten. Keine Zeit zum Plauschen: »Ist das nicht stressig, du siehst müde aus?« – »Ich bin OK«, sagt der Meister und geht zum nächsten Entrepreneur.

»Bist du auch alleine hier?«, fragt Michelle* und greift nach ihrem dritten Cocktail heute Abend. Sie ist eine der wenigen hier, die mit Airbnb nicht professionell Geld verdient: Sie und ihr Freund vermieten ihre eigene Wohnung, wenn sie im Urlaub sind – für kaum mehr als die ursprüngliche Miete. Laut Airbnb gehört sie damit zur größten Gruppe der Gastgeber. Vor kurzem hat das Unternehmen Zahlen veröffentlicht, was es selten tut. 5600 Hosts gibt es danach in der Hauptstadt, nur wenige würden ständig oder ganze Ferienwohnungen vermieten. Allerdings: Sucht man auf der Webseite nach Unterkünften, sind allein die begehrten Bezirke Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Mitte mit vagen 1000+ angegeben.
Chesky ist jetzt wohl doch müde, auf jeden Fall ist er der erste, der seine Party verlässt. »Berlin wird shared city!«, ruft der New Yorker noch über die Schulter, als er in die Kreuzberger Nacht verschwindet. Er hält beide Daumen hoch: »Morgen treffe ich den Bürgermeister!«

*Name v. d. Red. geändert

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