nd-aktuell.de / 04.04.2014 / Berlin / Seite 12

City West feiert Renaissance

Mit der Wiedereröffnung des frisch renovierten Bikini-Hauses hübscht sich das Zentrum um den Zoo weiter auf

Ulrike Leszczynski
Nach 25 Jahren Hipster-Halligalli in den Ostberliner Szenebezirken wandert der Blick wieder in den Westteil. Rund um die Gedächtniskirche hat sich nicht nur architektonisch die Staubdecke gelüftet.

In der »Monkey Bar« ist die schöne neue Welt des Berliner Westens so, wie Marketingstrategen sie erträumen: Im Dachgeschoss des Designhotels kuscheln sich junge Leute samt Cocktails in bunte Liegesofas. Die riesigen Glasscheiben geben einen besonderen Blick frei: rechts die Affen im Zoo. Daneben das neu gestylte Bikini-Haus aus den 50er Jahren, das am Donnerstag als edles Einkaufszentrum für Mode und Design wieder eröffnete. Und links die renovierte Gedächtniskirche mit ihrem neuen Hochhausnachbarn - ein Luxushotel.

Die Barperspektive auf den Westen, von rosa Flamingos bis zum bläulich schimmernden Kirchenbau von Egon Eiermann, ist kunterbunt. Berlin wäre nicht Berlin, ohne dass sofort Superlative umherschwirrten. An die High Line in New York fühlen sich die Bauherren auf der Terrasse ihres Bikini-Hauses erinnert, das so heißt, weil ihm einst das Mittelgeschoss fehlte. Das Gastrokonzept für das Einkaufszentrum, auf Neudeutsch Concept Mall, komme nah an den Wiener Naschmarkt heran. Doch selbst wenn man die übliche Portion Größenwahn abzieht, bleibt mehr übrig als ein architektonisch aufgehübschtes Stadtviertel rund um den Kurfürstendamm.

Ganz nah dran am Wandel ist Martin Germer, Pfarrer an der Gedächtniskirche. Wenn er den Kurfürstendamm entlangjoggt, sieht er eine ganz andere Welt als um die Jahrtausendwende. Sie heißt auch anders: City West statt Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg. Moderne Architektur wie das Kranzler-Eck hat sich wie ein gläserner Keil zwischen gutbürgerliche Altbauten geschoben. Es gibt teure Läden mit einem Angebot, das Germer »extravagant bis spleenig« nennt.

Zurück an seiner Kirche auf dem Breitscheidplatz, eingeklemmt zwischen zwei Magistralen, empfängt ihn das, was der Berliner »volle Pulle Leben« nennt: Touristen, Einkäufer, Teenies mit Zahnspangen, Breakdancer, Bummler und Penner. »Der Breitscheidplatz ist nicht der Gendarmenmarkt«, sagt der Pfarrer dazu - und findet das auch gut so.

Denn ohne Piazza-Atmosphäre sei das Risiko für brutalen Verdrängungswettbewerb kleiner. Germers Traum ist ein Kirchencafé auf dem Platz, in dem es keinen Verzehrzwang gibt - einfach nur mal sitzen. Die Frage ist nur, wie sich Träume finanzieren lassen: Die Gemeinde ist so klamm wie Berlin.

Trotzdem ist alles besser als früher. Germer erinnert an die Zeiten, in denen so viele Männer an die Gedächtniskirche pinkelten, dass das Mauerwerk litt. Der Drogenstrich am Bahnhof Zoo war nicht weit, der Ku-Damm galt als abgerockt. Was in den vergangenen Jahren passierte, würde der Pfarrer deshalb ungern »Renaissance« nennen. Für ihn ist es etwas Neues - so wie sich Berlin immer wieder neu erfindet.

Dirk Spender, Leiter des Regionalmanagement City West, spricht von einer Initialzündung. »Als klar war, dass neben dem Bahnhof Zoo ein Hochhaus mit dem Hotel Waldorf Astoria entsteht, ging das hier ab wie eine Rakete«, sagt er. Seit 2010 fanden sich plötzlich Investoren, die aus dem verstaubten Kino Zoo-Palast und dem Bikini-Haus etwas Schickes machen wollten. Ein weiteres Hochhaus ist im Bau. »Das Pendel schlägt zurück«, sagt Spender. »Die City West ist für all jene interessant, die von den Hipstern im Osten die Schnauze voll haben.« Und ergänzt schmunzelnd. »Wir mosern hier auch nicht über Touristen.«

Neu ist dieses Pendeln nicht. Berlins westliches und östliches Zentrum haben sich bei der Gunst des Publikums seit den 1920er Jahren abgewechselt oder nebeneinander bestanden. Erst der Mauerbau ließ getrennte Welten entstehen. Der Mauerfall sorgte für den riesigen Abenteuerspielplatz im Osten. Dessen Reiz verblasst nach der Renovierungs- und Gentrifizierungsphase nun für all jene, die sich nach unverbrauchten Spielwiesen sehnen. dpa