Aus! Aus! Das Spiel ist aus!

»Familienunterhaltung« gibt es im Fernsehen nicht mehr. Stattdessen gibt es TV-Warenverkehr. »Wetten, dass..?« hört auf

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.

Für einen kurzen Moment schien dieser Tage »Wetten, dass..?« noch eine Zukunft zu haben. Im Werbetrailer für die große Samstagabendshow des ZDF wurde der Auftritt von Hape Kerkeling angekündigt. Kerkeling, ja, der könnte das Format haben, diese Sendung noch zu retten - zu retten aus dem Quotentief, vor Moderator Markus Lanz, vor peinlichen Wettspielen, vor gelangweilten Hollywood-Schauspielern, die ihren Auftritt erkennbar zur Promotion für ihren neuesten Film nutzen. Dieser Gedanke währte nur für einen kurzen, sehr kurzen Augenblick und wurde von der Einsicht abgelöst, dass ein Hape Kerkeling, der sich die Momente seiner Präsenz im Fernsehen genauestens aussucht, auf kein tot gerittenes Pferd steigen wird.

Auch mit Kerkeling wäre »Wetten, dass..?« nicht zu retten gewesen. Am Samstagabend verkündete Markus Lanz lapidar, dass die Show im Herbst eingestellt werde - nach 33 langen Jahren. Später, im »Heute-Journal«, erläuterte Gundula Gause die Gründe. Die Rede war von veränderten Sehgewohnheiten. Der Aufwand einer solchen Show stehe nicht mehr im Verhältnis zum Zuschauerinteresse, rechtfertigte der ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler das Aus für die Show, die am 14. Februar 1981 zum ersten Mal im deutschen Fernsehen lief.

Das Spiel ist aus. An den Moderatoren lag das am wenigsten, eher an einem Konzept, das noch aus den Urzeiten des Fernsehens stammte. »Familienunterhaltung« nannte man das früher. Am Samstag versammelten sich Vater, Mutter und die Kinder gemeinsam vor dem Fernsehgerät, um einen Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld oder später eben Frank Elstner, den Erfinder von »Wetten, dass ..?«, beim Zelebrieren des TV-Hochamts zu bewundern, der Samstagabendshow. Hape Kerkeling hat das an diesem Samstag bei Lanz auf der Couch unterhaltsam geschildert. Die in einem festen Rhythmus - mit langen Zeitintervallen dazwischen - ausgestrahlten Sendungen waren die seltenen Anlässe, bei denen man es als Kind erlaubt bekam, länger aufzubleiben. Für die Generation der heute um die 45-Jährigen waren diese Fernsehshows eine Art Initiationsritus - wer »Einer wird gewinnen« gucken durfte, war kein kleines Kind mehr.

Formate wie »Einer wird gewinnen« (Kulenkampff), »Der große Preis« (Wim Thoelke), »Am laufenden Band« (Rudi Carrell) oder »Musik ist Trumpf« (Peter Frankenfeld) waren Spiegelbilder der Gesellschaft, aus der sie hervorgingen. Sie zelebrierten das Gemeinschaftsgefühl eines um des sozialen Friedens willen auf den ökonomischen Ausgleich orientierten Kapitalismus. Die Gewinnmargen für die Kandidaten etwa bei »Am laufenden Band« oder »Der große Preis« waren im Vergleich zu heute lächerlich gering. Aber um die Höhe der Gewinne ging es auch nicht; es ging um Teilhabe. Und um die Illusion, dass die »Stars«, die der Mitte der Gesellschaft entrückten, sich wie bei »Wetten, dass..?« herabließen, zu ihrem Publikum zu sprechen. Dem Hochamt entzogen sich allenfalls die Elitären des Bildungsbürgertums, das fein in E- und U-Kultur unterschied.

Analoges Fernsehen aus einem analogen Universum. Die Jetztzeit gebraucht Begriffe wie »digital«, »Event« (statt »Unterhaltung«), »Mulitmedia« und benutzt sie als Beschreibung für die soziale Abraumhalde, aus der sich heute Fernsehkultur bedient. Im Selbstverständnis des auf die Befriedigung der grenzenlosen Bedürfnisse orientierten Kapitalismus gibt es keine sozialen Klassen mehr, sondern nur noch eine unbegrenzte Zahl von Milieus.

Aber auch die Distanz zu den Spitzen der Gesellschaft ist geschwunden. Jetzt sprechen nicht mehr die »Stars« zum Publikum, denn dieses hat sich selbst ermächtigt, zu den einst Entrückten zu sprechen. Selbst die anzüglichste Zote, der missratenste Sprachwitz hätte einem Rudi Carrell oder einem Hans-Joachim Kulenkampff nicht das eingebrockt, womit sich heute Fernsehmoderatoren wie Markus Lanz konfrontiert sehen: einen Shitstorm. Kulenkampff konnte schlecht sein, aber er durfte das, denn er war einer aus der jenseitigen Welt der Unterhaltungskultur. Mit einer Petition mit der Forderung, ihn vom Bildschirm zu verbannen, wie dies jüngst bei Markus Lanz der Fall war, musste Kulenkampff nie rechnen. Er musste sich allerdings auch nicht prostituieren wie Lanz, dessen Zuschauer nie recht wissen können, ob sie jetzt bei »Wetten, dass..?« oder bei seiner wochentäglichen Talkshow im ZDF sind. Omnipräsenz macht aus TV-Prominenten Gebrauchsartikel, Tauschobjekte des TV-Warenverkehrs.

Wie jedes Medium, das für die Massen entwickelt wurde, wurde auch das Fernsehen durch jene Kraft demokratisiert, die seit jeher die gesellschaftlichen Schranken niederriss - die Ökonomie. Bei »Wetten, dass..?« war dies der Fall, als 1992 der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki auf der Couch Platz nahm. Gleichzeitig nahm die Trashkultur im Fernsehen zu. »Wetten, dass..?« gewann damit ohne eigenes Zutun im Vergleich zu den Show-Formaten des Privatfernsehens an kultureller Höhe. Ironischerweise war es wiederum Marcel Reich-Ranicki der diese Entwicklung skandalisierte, als er 2008 die Annahme des Deutschen Fernsehpreises aus Abscheu über solcherart Fernsehen verweigerte. Es nutzte nichts, das Medium Fernsehen machte auch damit Quote, indem es diese Kritik nur wenige Tage später als Streitgespräch zwischen dem damaligen Moderator von »Wetten, dass..?«, Thomas Gottschalk, und Reich-Ranicki vermarktete.

Die Internet-Medien, allen voran Facebook und Twitter, haben die Schwelle zwischen Prominenz und Publikum eingerissen. Noch während Sendungen wie »Wetten, dass..?«, aber auch andere Formate wie z.B. der »Tatort« in der ARD laufen, darf auf Twitter kommentiert, analysiert, geschimpft, gelobt werden. Die Publikumsbeschimpfung rettet die Einschaltquote, die für die Preise der TV-Werbespots maßgeblich ist. Und es gib keine Instanz in den Medien mehr, die diesen Sprachausfluss kanalisieren, regeln würde.

Wie kaum ein anderer hat Stefan Raab diese Erkenntnis profitabel gemacht. Sein »Schlag den Raab« ist die kongeniale Praxis dieses Gedankens. Raab belehrt nicht, er sagt uns nicht, was wir gut, was wir schlecht finden sollen. Er entblößt den Prominenten genauso wie den Zuschauer. Selbst vor sich selbst macht er nicht halt, wenn er mit Schwabbelbauch vom 10-Meter-Turm ins Schwimmbadbecken klatscht.

Vor 14 Jahren, zu Beginn des Online-Zeitalters also, hat der »Spiegel« Raabs Sendung »TV total«, von der man nie weiß, ob es noch Fernsehen oder doch ein verlängerter TV-Werbeblock ist, als Vorboten des totalitären Fernsehens bezeichnet. Wenn »TV total« der Vorbote war, ist »Schlag den Raab« der Messias dieser TV-Kultur. Raab präsentiert Prominente nicht als Hohepriester der Kultur, sondern als Teil des Spiels, das man jetzt nur noch Unterhaltung nennt. Seht her, lautet seine Botschaft, alles schlägt sich mit Ähnlichkeit, alle - auch die »Stars« - sind nur austauschbare Teile des Business. Bildung als Akt der Selbstanstrengung ist etwas für verklemmte Spießer, für die Zuschauer von »Wetten, dass..?«.

Aus, aus, das Spiel ist aus. Nein, es geht weiter, nur mit anderen Darstellern.

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