Mehr Jobs, nicht weniger Stress

DGB stellt Index »Gute Arbeit« vor / 43 Prozent kommen gerade so hin mit ihrem Lohn

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Entspannungen auf dem Arbeitsmarkt führen nicht automatisch zu Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen. Zu dem Schluss kommt die neue Beschäftigtenbefragung des DGB.

Trotz der Entspannung auf dem Arbeitsmarkt: Im Jahr 2012 gab es keine Entspannung bei den Arbeitsbedingungen. Das ist ein Ergebnis im neuen DGB-Index »Gute Arbeit«. Zusammen mit dem Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, stellte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Dienstag die aktuelle Untersuchung vor, die für 2013 nun im siebten Jahr in Folge erscheint. Jedes Jahr nehmen sich die ForscherInnen vom hauseigenen DGB-Institut einen Themenschwerpunkt in ihrem Arbeitsindex vor. In diesem Jahr war dies die unbezahlte Arbeit. Gemeint ist damit das Arbeiten nach Feierabend und außerhalb der bezahlten und vertraglich geregelten Arbeitszeit oder das ständige Erreichbar-Sein-Müssen.

61 Prozent der in der repräsentativen Erhebung befragten Beschäftigten aus vielen verschiedenen Branchen gaben an, dass sie in der gleichen Zeit mehr leisten müssten als im Vorjahr. 56 Prozent der rund 5800 Befragten gaben an, sehr oft oder häufig gehetzt zu arbeiten, und 17 Prozent arbeiten sehr oft oder häufig außerhalb der bezahlten Arbeitszeit für ihren Betrieb.

»Die relative Erholung am Arbeitsmarkt führt nicht automatisch zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen«, sagte Annelie Buntenbach bei der Vorstellung der Studie in der Berliner DGB-Zentrale. Ganz im Gegenteil, wie Untersuchungen der letzen Jahre zeigen. Im neuen DGB-Index verweisen die Autoren denn auch auf eine Analyse der Bundespsychotherapeutenkammer vom Januar dieses Jahres. Darin heißt es, dass jede zweite neue Frührente mittlerweile psychisch bedingt sei und dass psychosoziale Belastungen dabei eine große Rolle spielen.

Darum brauche es eine neue Initiative für eine Humanisierung der Arbeit, sagte Buntenbach. »Wir brauchen wieder Forschung und eine breite gesellschaftliche Debatte zum Thema Arbeit«, um auf lange Sicht einer stetig steigenden Arbeitsverdichtung beikommen zu können. Kurzfristig könne durch den gesetzlichen Mindestlohn und neue Regelungen der prekären Arbeit Abhilfe geschaffen werden.
Ein wichtiges politisches Ziel sei die Umsetzung einer Anti-Stressverordnung, wie sie derzeit immer lauter gefordert wird. Überdies müssten die Arbeitgeber stärker in die Verantwortung genommen werden, sagte Buntenbach. In fast 90 Prozent der Betriebs gebe es kein Angebot zur Gesundheitsvorsorge seitens der Chefs.

Den Arbeitsbedingungen steht eine gleichbleibend mittelmäßige Einkommenssituation vieler Beschäftigter gegenüber. 43 Prozent der Befragten gaben an, dass sie mit ihrem monatlichen Einkommen nicht oder gerade so über die Runden kommen.

Spitzenreiter in der Disziplin der unbezahlten Arbeit sind die im Erziehungs- und Unterrichtsbereich tätigen. 45 Prozent gaben an, sehr häufig oder oft außerhalb der bezahlten Zeit zu arbeiten. Lediglich 25 Prozent sagte, das würde nie vorkommen. Unbezahlte Arbeit heißt an erster Stelle: Immer für den Chef erreichbar sein. Danach kommt die Abend- oder Wochenendarbeit. Bei den untersuchten Beschäftigtengruppen schenken diejenigen besonders häufig ihre Arbeitskraft dem Chef, die ihre Arbeitsbedingungen ohnehin nicht als gut bezeichnen.

Die Aktualität des DGB-Index ist unbestritten, aber neu ist die Entwicklung sicherlich nicht. Diskussionen um die »Generation Selbstausbeutung« kamen vor mehr als zehn Jahren auf. Die Stechuhr, einst der Inbegriff der Normierung des Menschen als Lieferant der Ware Arbeit in der Hochphase des Industriekapitalismus, wurde durch andere, subtilere Kontrollmechanismen abgelöst. So schrieb Jakob Schrenk 2006 in der Zeitschrift »Neon«: »Vermutlich sind die Stechuhren nur verschwunden, weil die modernen Angestellten sie verschluckt haben.

Sie stecken in den Bäuchen ganz tief drinnen, und von dort unten tönt immer wieder die gleiche Frage: ›Hast du wirklich schon genug getan?‹« Schon Ende der 1990er Jahre hatte zunächst der IBM-Konzern, Hersteller u.a. von Stechuhren, selbige abgeschafft, weitere Großkonzerne folgten. Dass die neue Freiheit im Umgang mit der eigenen Zeit letztlich auch mehr Stress bedeutet, wurde erst später klar. »Wir brauchen eine Auseinandersetzung jedes und jeder einzelnen Arbeitnehmerin mit sich selbst«, sagte gestern Bsirske. Die Betroffenen müssten zu Beteiligten werden, »wir brauchen eine Arbeitspolitik von unten«.

Übrigens: Ein guter Teil dieses Textes wurde geschrieben, während der Autor am Schreibtisch sein Mittagessen verzehrte ...

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