nd-aktuell.de / 09.04.2014 / Politik / Seite 2

Besonders schwere Beeinträchtigung der Grundrechte

Der Europäische Gerichtshof folgt in seiner Argumentation der Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts

Uwe Sievers
Der Europäische Gerichtshof hat die Regelung zur Vorratsdatenspeicherung zurückgewiesen. Die Politik hält jedoch an ihr fest und will nun »eine rechtskonforme Regelung« finden.

Wer telefoniert wann mit wem, wo und wie lange? Metadaten werden diese Informationen genannt. Sie fallen bei Telefonaten an wie auch bei E-Mails, SMS und Datenverbindungen. Diese Daten sollen Telekommunikationsanbieter von jedem Bürger ohne Anlass speichern. Für den Fall, dass Ermittlungsbehörden darauf zugreifen wollen, also auf Vorrat. Die Befürworter, vornehmlich konservative Politiker und Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft, sehen in dieser anlasslosen Vorratsdatenspeicherung (VDS) ein unverzichtbares Instrument zur Strafverfolgung und betonen dessen Bedeutung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Indes fällt es ihnen schwer, ihre Notwendigkeit durch entsprechende Ermittlungserfolge nachzuweisen.

Kritiker sehen in der anlasslosen VDS einen schweren Eingriff in die Grundrechte, denn aus den Daten können Bewegungsprofile erstellt und das Kommunikationsverhalten jedes Einzelnen analysiert werden. Deshalb erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2010 »die anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsverbindungen für unverhältnismäßig«. Sie verstoße gegen das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil »sich aus diesen Daten bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen« ließen. Die Richter befürchteten eine Beeinträchtigung von Meinungs- oder Demonstrationsfreiheit, weil diese Speicherung »ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorruft, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann«.

Dem schloss sich nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) an: Er sieht in der EU-Richtlinie einen »Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere« in die Grundrechte der EU-Bürger und erklärt sie für rechtswidrig. Das Gericht besteht auf einer »Achtung des Privatlebens und auf dem Schutz personenbezogener Daten jedes Einzelnen«. Daher müsse die »Speicherung auf das absolut Notwendigste beschränkt werden«. Das Gericht bemängelt den fehlenden Schutz vor Missbrauch der Daten. Die Richter fordern - nicht zuletzt anlässlich der Enthüllungen Edward Snowdens -, dass die Daten nicht auf Servern außerhalb der EU gespeichert werden dürfen. Mit der Richtlinie habe der Gesetzgeber »die Grenzen überschritten«, rügen die Richter die europäischen Institutionen und nationalen Regierungen.

Die 2005 übereilt vom EU-Parlament beschlossene Richtlinie wurde 2006 ebenso übereilt vom Rat verabschiedet. Sie schreibt eine Speicherdauer von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren vor. Bereits ein halbes Jahr später wurde vor dem EuGH erstmals Klage dagegen eingereicht. In Deutschland wurde die Richtlinie 2007 dennoch umgesetzt. Im gleichen Jahr reichte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung dagegen Klage beim BVerfG ein, welches bereits kurze Zeit später das Gesetz erheblich eingeschränkte und es schließlich 2010 aufhob. In anderen EU-Ländern wurden und werden die Metadaten teilweise weiter bis zu zwei Jahren gespeichert.

Nach dem Urteil des EuGH ist die Vorratsdatenspeicherung jedoch keineswegs vom Tisch. Kritiker wie der EU-Parlamentarier und Datenschutzspezialist Jan Philipp Albrecht (Grüne) fordern zwar ihre europaweite Abschaffung. Fakten zeigten, »dass dieser tiefe Eingriff in das Menschenrecht auf Datenschutz und Privatsphäre zu keiner erkennbaren Verbesserung der Strafverfolgung geführt hat«. Die EU-Kommission muss nun entscheiden, ob sie einen neuen Entwurf vorlegen möchte. Zuvor wird aber das EU-Parlament gewählt. Es könnte maßgeblich für die neue Richtung in Sachen VDS sein.