Balancieren von Amts wegen

Bayerns neue grüne Landräte haben in ihren Kreistagen keine eigene Mehrheit - ein Problem sehen sie darin kaum

  • Sebastian Kunigkeit 
und Paul Winterer
  • Lesedauer: 4 Min.
Ihre Wahl wurde als Sensation empfunden - erstmals gibt es in Deutschland Grünen-Landräte, und das im CSU-Land Bayern. Doch in den entsprechenden Kreistagen dominieren andere Parteien.

Miesbach/Miltenberg. Die Partei gibt es schon seit 1980. Doch es mussten 34 lange Jahre vergehen, bis in Deutschland die ersten Politiker der Grünen zu Landräten gewählt wurden - so geschehen Ende März im Kreis Miesbach und im Kreis Miltenberg. Wolfgang Rzehak heißt der künftige Landkreischef in Miesbach, Jens Marco Scherf ist der erste Mann im Landratsamt von Miltenberg.

Die Wahl der beiden Grünen wurde bundesweit als Sensation gefeiert. Vor allem die Wahl Rzehaks ausgerechnet im CSU-dominierten Landkreis Miesbach, wo die Vize-Ministerpräsidentin und CSU-Bezirksvorsitzende Ilse Aigner ihren Stimmkreis hat, fand große Beachtung. Im politischen Alltag müssen sich beide neuen Landräte freilich erst bewähren. Was erschwerend hinzukommt: Weder Rzehak noch Scherf hat im Kreistag eine eigene Mehrheit. Am 1. Mai beginnt die neue sechsjährige Legislaturperiode in der Kommunalpolitik.

Zwar gewannen die Grünen im Kreistag von Miesbach drei Sitze hinzu und verfügen nun über neun Mandate. Doch steht dieser Gruppe eine Phalanx von 21 Kreisräten der CSU und 16 der Freien Wähler gegenüber. Die SPD hat neun Sitze im Parlament des Landkreises. Die Bayernpartei schickt drei, die FDP zwei Kreisräte in das 60-köpfige Gremium.

Doch Mehrheiten interessieren Rzehak nicht. Der 46-Jährige will gar keine feste Koalition. »Als Kommunalpolitiker weiß ich doch, dass man auf dem Land gut zusammenarbeitet«, sagt der designierte Landrat. »Ich sehe mich im Kreistag eher in der Rolle des Moderators. Wir haben dort schon immer die meisten Themen konstruktiv und gemeinsam bearbeitet.« Rzehak muss es wissen: Er sitzt seit 18 Jahren im Kreistag von Miesbach.

In den Sitzungen sei oft gar nicht erkennbar gewesen, welcher Partei die Kreisräte angehören, sagt der zuletzt bei der Landeshauptstadt München beschäftigte Verwaltungsfachmann. »Ich kann mit CSU, SPD und Freien Wählern gut.« Eine Koalition strebe er daher nicht an. »Das brauche ich nicht und das will ich nicht.«

Rzehak hatte sich in der Stichwahl mit 53,5 Prozent der Stimmen gegen Norbert Kerkel von der Freien Wählergemeinschaft durchgesetzt. Amtsinhaber Jakob Kreidl (CSU) war über die Finanzierung der Feier zu seinem 60. Geburtstag gestolpert.

Kreidl hatte sich die 120 000 Euro teure Party fast ausschließlich von Kreissparkasse und Landkreis zahlen lassen. Daneben geriet der 61-Jährige wegen seines aberkannten Doktortitels, der Verwandtenaffäre im Landtag, üppiger Nebenverdienste und eines Schwarzbaus in die Schlagzeilen. CSU-Chef Horst Seehofer zwang ihn daraufhin zum Amtsverzicht für den Fall der Wiederwahl. Kreidl schied jedoch schon im ersten Wahlgang aus.

Miltenbergs neuer Landrat Scherf sieht offene Diskussionen und wechselnde Mehrheiten gar als Rezept gegen Politikverdrossenheit. Der »Neue« hat nicht mal ein Drittel des Kreistags hinter sich: Grüne, SPD und ÖDP, die ihn gemeinsam ins Rennen geschickt hatten, stellen 18 der 60 Kreisräte. Stärkste Fraktion ist die CSU mit 23 Sitzen, gefolgt von den Freien Wählern mit elf Mandaten. »Ich sehe grundsätzlich kein Problem. Ich bin damit angetreten, den Politikstil und das Demokratieverständnis anders auszulegen«, sagt Scherf. Er wolle sich je nach Thema wechselnde Mehrheiten suchen.

Scherf hatte sich völlig überraschend gegen CSU-Kandidat Michael Berninger durchgesetzt und damit die jahrzehntelange Vorherrschaft der Christsozialen im Landkreis beendet. »Vorher in 40 Jahren CSU-Mehrheit war es so, dass der Landrat sich auf eine feste Blockmehrheit stützen konnte.« Dies trage aber nicht zu einem positiven Bild der Kommunalpolitik bei, argumentierte Scherf - offenere, sachorientierte Diskussionen im Kreistag war eine der Forderungen, mit der er um Stimmen warb.

Natürlich sei es anstrengender, immer wieder neue Mehrheiten zu organisieren, räumt der 39-Jährige ein. »Das darf jetzt nicht in Chaos ausarten.« Er sei aber zuversichtlich, dass dies gelingen könne. »Ich habe die Hand ausgestreckt in Richtung CSU und Freie Wähler, aber auch da nicht mit dem Ziel, eine feste Blockmehrheit zu bilden.«

Die Wahl von Scherf in der CSU-Hochburg Miltenberg war ebenfalls eine Sensation - nicht nur, weil sie mit 40 Stimmen Vorsprung denkbar knapp ausfiel. Jahrzehntelang war der Kreis eine sichere Bank für die Christsozialen, der scheidende Landrat Roland Schwing führte das Amt seit mehr als 27 Jahren. Der CSU-Kandidat für seine Nachfolge lag im ersten Wahlgang noch gut 16 Prozentpunkte vor Scherf, der Vorsprung schmolz binnen zwei Wochen.

Scherf ist Rektor einer Grund- und Mittelschule, sitzt seit zwölf Jahren im Kreistag und ist dem Realo-Flügel der Grünen zuzurechnen. Der vierfache Vater erzählt von guten Kontakten zur Industrie und betont angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kreistag den Auftrag, die CSU einzubinden: »Es wird jetzt keine Revanchepolitik geben.« dpa/nd

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