»Angstbesetzte Psychosen«

Der Streit läuft schon seit Jahren, nun ist ein Sammelband zum kirchlichen Sonderarbeitsrecht erschienen

  • Florian Osuch
  • Lesedauer: 3 Min.
Beschäftigte in kirchlichen Unternehmen dürfen nicht streiken, den Gewerkschaften ist das lange schon ein Dorn im Auge, die Kirchen berufen sich auf ihre Selbstbestimmungsrecht.

In Deutschland kommen die evangelische und katholische Kirche in den Genuss umfangreicher Privilegien. Die Verstrickung ist teilweise bizarr: So zahl der Staat den Kirchen jährlich hunderttausende Euro. Damit werden sie für Enteignungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert entschädigt. Eine Beendigung dieser Zahlungen war zwar schon in Weimarer Republik vorgesehen, ist aber noch immer nicht umgesetzt. Eine weitere Besonderheit ist das Sonderarbeitsrecht der Kirchen. »Streik in Gottes Häusern« heißt ein Buch, das sich mit dieser Form des Arbeitsrechts und mit Widerstand in kirchlichen Betrieben beschäftigt.

Charitas (katholisch) und Diakonie (evangelisch) sind die größten Anbieter für Gesundheits- und Sozialdienstleistungen in Deutschland. Berno Schuckart-Witsch, langjähriger Diakonie-Beschäftigter und nun ver.di-Sekretär, hat aufschlussreiche Zahlen zusammengestellt: Bundesweit arbeiten etwa eine Millionen Menschen bei tausenden rechtlich selbstständigen kirchlichen Einrichtungen. Das sind Krankenhäuser, Kitas, Schulen und Pflegeeinrichtungen sowie Verlage, Versicherungen, TV- und Radiosender. Der Großkonzern Kirche betreibt 70 Hotels, elf Banken und verwaltet Vermögen im Wert von mehreren hundert Milliarden Euro.

Ver.di-Chef Frank Bsirske, Mitherausgeber des Sammelbandes, weist darauf hin, dass Charitas und Diakonie »zu fast einhundert Prozent aus Steuermitteln« finanziert werden und nicht aus Kirchensteuern. Er nennt das Sonderarbeitsrecht der religiösen Unternehmen - den »Dritten Weg« - vordemokratisch.

Das Betriebsverfassungsgesetz findet auf kirchliche Arbeitgeber keine Anwendung. Mitarbeitervertretungen ersetzen Betriebs- oder Personalräte. Streiks seien unvereinbar mit dem religiösen Auftrag. Jens Schubert, Leiter der ver.di-Rechtsabteilung, meint, dass Streikrecht auch als EU-Grundrecht verankert ist. Die Kirchen hingegen beziehen sich auf ihr Selbstbestimmungsrecht.

Friedhelm Hengsbach, bis zu seiner Emeritierung Professor für Christliche Sozialwissenschaft in Frankfurt, will bei Kirchenoberen gar »angstbesetzte Psychosen« ausgemacht haben. Beim Wort Streik würden sie gleich an einen Arbeiteraufstand denken. Dabei seien Streiks im Öffentlichen Dienst, worunter soziale kirchliche Einrichtungen mehrheitlich fallen, viel strenger geregelt als in der Privatwirtschaft. Drei Autoren, die beim »Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt« tätig sind, gehen auf Chancen zur Neubestimmung des kirchlichen Arbeitsrechts ein. Streit zwischen Kirchen und Gewerkschaften um den »Dritten Weg« würde tabuisiert. Das mache es den Kirchen schwer, sich auf die »in unserer Wirtschaftswelt bewährte Regelungsmethoden« einzulassen. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen stehe nicht im Widerspruch zur Tarifautonomie.

So existieren im Bereich der Nordkirche und ihrer Diakonie Tarifverträge für rund 20 000 Personen, ebenso für Beschäftigte in der Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz. Diese waren noch mit der ver.di-Vorgängerin ÖTV ausgehandelt worden. Lesenswert sind auch die Interviews zu Erfahrungen mit Streiks in christlichen Einrichtungen. Uwe Demitz, Krankenpfleger und Geschäftsführer einer Mitarbeitervertretung der Diakonie Hannover, legt wert darauf, »nicht Gott, sondern Wirtschaftsunternehmen« zu bestreiken.

Bsirske/Paschke/Schuckart-Witsch (Hrsg.): Streiks in Gottes Häusern, 216 Seiten, VSA-Verlag, Hamburg 2013, 14,80 Euro

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