nd-aktuell.de / 11.04.2014 / Kultur / Seite 14

Typisch Türke!?

Idil Üners »Süpermänner« im Ballhaus Naunynstraße

Volker Trauth

Die Geschichte des Projekts veranschaulicht den Gründungsimpuls dieser Kulturstätte als »Kristallisationspunkt für KünstlerInnen migrantischer und postmigrantischer Verortung«. Die Schauspielerin Idil Üner, bekannt aus Fatih Akins Filmen, hatte es immer schon gestört, wie »klischeehaft« türkische Männer in der deutschen Öffentlichkeit dargestellt werden. Weil sie diese »Süpermänner« selbst zu Wort kommen lassen wollte, nahm sie Kontakt auf zur Selbsthilfegruppe »Aufbruch Neukölln e. V.«, in der sich türkische Männer unter Anleitung des Psychologen Kazim Erdogan über ihre Existenz als Fremde in Deutschland austauschen.

Einige dieser mittlerweile 40 Personen teilen nun auf der Bühne des Ballhauses Naunynstraße ihre Erfahrungen mit - vom 72-jährigen politisch engagierten Rentner Dursun Güzel über den 36-jährigen kurdischen Filmemacher Ilker Abay bis zum 26-jährigen Fischhändler und Kampfkünstler Tarkan Bruce Lohe. Im unterschiedlichen Erzählgestus lassen sie uns teilhaben an ihren prägenden Erlebnissen und an ihren daraus gewonnenen Schlussfolgerungen.

Mit verschmitzter Selbstironie erzählt der Kurde Abay vom frühen Ausbrechen seiner Theaterleidenschaft und empört sich im heiligen Zorn über die Verhaftung seines Vaters, eines gesellschaftskritischen Journalisten, der den Konflikt zwischen Türken und Kurden einen »schmutzigen Krieg« genannt hatte. Nach Worten suchend - als wolle er sich die verhängnisvollen Ereignisse vergegenwärtigen -, gesteht der inzwischen im Gefängnis sitzende 46-jährige Cengis Korkmaz seine Diebstähle und Überfälle aus den 90er Jahren, mit denen er seine existenziellen finanziellen Schwie᠆rigkeiten beheben wollte. Ein stilles Einverständnis mit sich selbst offenbart Dursun Güzel, wenn er behauptet, als Produktionsarbeiter in einer Ulmer Waffenfabrik deren umstrittene Waffengeschäfte aufgedeckt zu haben. In eine wahre »Wutrede« steigert sich der 36-jährige Werbemanager Celal Sert, wenn er den selbstverliebten Scheich angreift, der meint, eine »Verkörperung des Koran zu sein« und der seine, Serts, Kinder vom Lernen abhalten will.

Zum schauspielerischen Höhepunkt des Abends wird Cengiz Korkmaz’ Bericht aus dem Gefängnis, nachdem er sich die Bibel als Lebenshilfe angeeignet und ein Fernstudium aufgenommen hat. Da scheint die Fähigkeit zur künstlerischen Menschengestaltung auf. Noch nicht sicher, ob man ihm glauben wird, beteuert er verzweifelt die Echtheit seiner Wandlung. Da kommt die Tragik des unschuldig schuldig Gewordenen ins Spiel.

Regisseurin Idil Üner verzichtet auf überehrgeizige Regieeinfälle. Sparsame Erfindungen konkretisieren die Figurenhaltungen und setzen unaufdringlich die Solidarität der Berichtenden ins Bild. Der anfangs ebenso schräge wie auseinanderdriftende Chorgesang gewinnt allmählich Gleichklang und wenn Dursun Güzel gesteht, erst nach 40 Jahren Ehe seiner Frau Blumen geschenkt zu haben, holen die anderen verstohlen zerdrückte Blütenblätter aus der Hosentasche. Ein ehrlicher Abend, der auch vom Einverständnis mit dem Publikum lebt.

Aufführungen bis zum 15.4., jeweils 20 Uhr. Naunynstr. 27, Kreuzberg, Tel.: (030) 75 45 37 25