nd-aktuell.de / 11.04.2014 / Politik / Seite 1

Schoss am Maidan auch die Opposition?

Bericht: »Erhebliche Zweifel« an Kiews offizieller Version / Europarat entzieht Russland das Stimmrecht

Klaus Joachim Herrmann
Schwerer Verdacht fällt wegen der Todesschüsse vom Maidan erneut auf die Sieger des Umsturzes vom Februar.

Die offizielle Version der neuen Machthaber in der Ukraine, dass allein Scharfschützen der Sondereinheit »Berkut« im Dienste des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch für »Massenmord« während der Auseinandersetzungen auf dem Kiewer Maidan verantwortlich seien, wird erneut schwer erschüttert. Bereits zuvor wurde der Verdacht laut, Scharfschützen könnten auch von Kräften der damaligen Opposition beauftragt worden sein. Die aber sind nicht im offiziellen Visier.

Nach Recherchen des WDR-Magazins »Monitor« vom Donnerstag erscheine es laut Mitteilung der Fernsehanstalt ARD »unwahrscheinlich«, dass die tödlichen Schüsse auf Demonstranten ausschließlich von Seiten des alten Regimes ausgingen. Ein hochrangiges Mitglied des Ermittlerteams der Regierung habe erklärt: »Meine Untersuchungsergebnisse stimmen nicht mit dem überein, was die Staatsanwaltschaft in der Pressekonferenz erklärt hat.«

Das Magazin verweist auf den Mitschnitt des Funkverkehrs von Scharfschützen, die dem Lager von Ex-Präsident Janukowitsch zuzurechnen seien und am 20. Februar offenbar auf verschiedenen Dächern stationiert waren. Ein Scharfschütze fragt: »Wer hat da geschossen? Unsere Leute schießen nicht auf Unbewaffnete.« Kurze Zeit später sagt ein anderer: »Den hat jemand erschossen. Aber nicht wir.« Dann: »Gibt es da noch mehr Scharfschützen? Und wer sind die?« Ein Augenzeuge bestätigte: »Wir wurden von vorn beschossen und auch von hinten, etwa aus der achten oder neunten Etage des Hotel ›Ukraina‹. Das waren auf jeden Fall Profis.« Das Hotel befand sich an jenem Tag fest in der Hand der Opposition. Allein an diesem Tag starben mehr als 30 Menschen.

Anwälte von Angehörigen und Verwundeten erheben schwere Vorwürfe gegen die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft. Die bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen würden ihnen fast komplett vorenthalten. Einer der Anwälte sagt, »die decken ihre Leute, die sind parteiisch, so wie früher«.

In einer Resolution lobte die Parlamentarische Versammlung des Europarates in Straßburg, der Machtwechsel in Kiew habe der demokratischen Entwicklung der Ukraine »ein Fenster geöffnet«. Ausdrücklich anerkannt wurde die Rechtmäßigkeit der neuen Führung in Kiew. Die Angliederung der Krim an Russland wurde verurteilt und den 18 russischen Abgeordneten bis Ende des Jahres das Stimmrecht entzogen. Zudem drohte das Gremium Moskau mit vollständigem Ausschluss.

Unter Hinweis darauf, dass die Krise um die Ukraine eine Folge des Zerfalls der Sowjetunion sei, fordert eine Gruppe von russischen Abgeordneten ein Ermittlungsverfahren gegen den früheren Staatschef der UdSSR Michail Gorbatschow, informierte die Zeitung »Iswestija«.

Mit einer Amnestie versucht nach einem wirkungslosen Ultimatum Präsident Alexander Turtschinow die Krise in der Ostukraine zu lösen. Er stellte Demonstranten bei Waffenabgabe und Räumung der Gebäude Straffreiheit in Aussicht.