nd-aktuell.de / 19.04.2014 / Kultur / Seite 25

Zum Frühstück einen Hölderlin

Stolz ist ein lässliches Laster, positive Nebenwirkungen mildern seine Sündhaftigkeit. Zum Problem wird er als Nationalstolz. Vor allem für Linke

Uwe Kalbe

Dem Stolz aufs Vaterland ist er abhold, der deutsche Linke. Mit Vorliebe zitiert er bei Gelegenheit einen konservativen Sozialdemokraten, Gustav Heinemann. »Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau«, hatte der Bundesjustizminister und spätere Präsident 1969 zum Thema Vaterland gesagt. Seitdem kriegt die Linke das nicht aus ihrem Kopf, immer, wenn die Rede auf das V-Wort kommt.

Vaterland oder Frau also. Ostern könnte glatt Gelegenheit sein, beide zu lieben. Aber gut, Ostern ist auch eine gute Zeit fürs Lesen. Oskar Lafontaine scheint jemand zu sein, der bei solcher Gelegenheit einen Hölderlin frühstückt. »Seliges Land! Kein Hügel in Dir wächst ohne den Weinstock.« Selbst ohne Weinstock ist Lafontaine die Landschaft wichtig. Als er vor einiger Zeit seine Abneigung gegenüber den Windrädern deutlich machte, die ihm den Blick in die deutsche Kulturlandschaft verstellen, war das für manchen Linken der Beweis, dass »Lafontaine« und »links« ein Antonym sind, ein unvereinbares Wortpaar.

Denn der echte Linke hält den Kopf beim Blick in die Landschaft gesenkt. Er hebt ihn nur gemeinsam mit der Stimme. »Nie wieder Deutschland!« Mit diesem Ruf erschreckt er gern den Spießer, egal, wo der sich niedergelassen hat. »Links ist da, wo keine Heimat ist«, lautete das Motto einer Konferenz 1994 (der Zeitschriften »konkret« und »Bahamas«) in Dresden. Für Linke wäre arg wenig Platz in dieser Welt, wenn das stimmte. Noch schlimmer aber: Wem Heimat egal ist, dem sind wohl auch die Menschen egal, denen Heimat nicht egal ist.

Dann könnte Links etwa dort sich nicht ansiedeln, wo Katalanen, Basken oder Schotten sind. Die wollen nicht vom Ziel einer staatlichen Unabhängigkeit lassen. Hegel sprach über ihresgleichen als »Völkerabfälle«. Allerdings nicht moralisierend, sondern die Völkerreste beschreibend, die beim Kampf um Märkte und Standorte keinen Platz für einen eigenen Staat fanden. Friedrich Engels glaubte, dass Nationen, die es nicht zu Staaten gebracht haben, dem Untergang geweiht seien, und Schotten und Basken zählte er dazu. Er hat sich geirrt.

»Fröhlich baden im Strome den Fuß die glühenden Berge / Kränze von Zweigen und Moos kühlen ihr sonniges Haupt«. Wer fein säuberlich zwischen Berg und Heimat trennt, mag unbeeindruckt bleiben. Doch Hölderlin und Kulturlandschaft, beiden treiben solche Zeilen neue Liebhaber zu. Das sonnige Haupt birgt, ungekühlt, freilich Risiken. Das Risiko des Nationalismus ist eine besonders schwere Form von Sonnenstich. Doch der Nation dafür die Schuld geben? Links ist dort, wo Nation ist, um sie nicht denen zu überlassen, die von Nationalismus profitieren. Linke, die die Existenz von Staaten nicht leugnen können, weil sie Steuern an ihn zahlen, leugnen gern wenigstens die Existenz von Nationen. Doch Staaten, die keine Nation sind, sind so selten wie der Vatikan. Was hätte Inter-Nationalismus für einen Sinn, ohne Nationen? Noch rasch die Welt retten kann nur, wer sie nimmt, wie sie ist. Im Falle des Erfolgs wäre sogar Stolz berechtigt. Hölderlin zum Frühstück sowieso.