nd-aktuell.de / 19.04.2014 / Politik / Seite 15

Westprodukte für DDR-Bürger

Seit 1974 durften Ostdeutsche in den staatlichen Intershops einkaufen gehen

Vor 40 Jahren erlaubte die DDR-Führung ihren Bürgern erstmals, im Intershop einkaufen zu gehen. Die ersten Läden dieser Art waren schon Mitte der 1950er Jahre in Wismar und Rostock (für Seeleute) entstanden, etwas später auch in Leipzig (für Messebesucher). Doch sie waren für DDR-Bürger zunächst tabu. Der Wirtschaftswissenschaftler Matthias Judt befasste sich mit den Hintergründen der Entscheidung von 1974, im Ch. Links Verlag veröffentlichte er eine Studie zum Bereich Kommerzielle Koordinierung. Mit ihm sprach Heidrun Böger.

Intershops gab es in der DDR schon früher, aber zunächst nicht für DDR-Bürger. Aus welchem Grund entschied die DDR-Führung dann 1974, die Läden allgemein zu öffnen?
Judt: Millionen von DDR-Bürgern hatten verwandtschaftliche Beziehungen oder Freunde in der Bundesrepublik. Bis Februar 1974 war es DDR-Bürgern nicht erlaubt, Devisen zu besitzen. Sie hätten eventuell vorhandene D-Mark in Mark der DDR umtauschen müssen, was sie nicht taten. Wenn also die DDR in die Verfügung solcher privaten Devisenreserven kommen wollte, musste der Devisenbesitz erlaubt und der Besuch von Intershops durch DDR-Bürger offiziell gestattet werden. Zuvor waren zwar Bundesbürger für ihre Verwandten in die Läden gegangen, aber nicht jeder Bundesbürger »traute« sich in die DDR, und überhaupt hätten sie ihren Verwandten die westlichen Erzeugnisse auch aus der Bundesrepublik mitbringen können. Ökonomisch hätte die DDR davon also gar nichts.

Welche Konsequenzen hatte die Öffnung der Läden?
Es wird geschätzt, dass DDR-Bürger für etwa die Hälfte des Gesamtumsatzes der DDR-Intershops verantwortlich waren. In einer Studie für das SED-Zentralkomitee von Anfang der 1980er Jahre wurde zudem festgestellt, dass knapp die Hälfte der DDR-Bürger legalen Zugang zu Devisen hatten, als Reisekader, aber vor allem wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen. Das stellte ein riesiges ökonomisches Potenzial für die DDR dar, war aber gleichzeitig ein politisches und ideologisches Problem, weil es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der DDR etablierte: eine, die Westgeld hatte und eine, die nicht die Möglichkeit hatte - vor allem ausgerechnet kleine SED-Funktionäre, denen Westkontakte untersagt waren.

Strömten die DDR-Bürger nun in Scharen in die Intershops?
Obwohl ein Gesamtumsatz in den Intershops von 14,3 Milliarden D-Mark zwischen 1971 und 1989 eine enorme Summe darstellt, war die von DDR-Bürgern durchschnittlich im Jahr verfügbare Summe in der Regel sehr klein: Am Ende war es das Pfund »Westkaffee« oder die Kaugummis für die Kinder, vielleicht auch mal eine Levi´s Jeans oder eine Schallplatte, die den besonderen Einkauf darstellten, während sonst Waren im DDR-Einzelhandel erworben wurden. Ab 1979 durften die DDR-Bürger im Intershop nur noch mit Forumschecks einkaufen, die waren erhältlich bei der Staatsbank der DDR nach Eintausch gegen harte Währung.

Welche Produkte wurden in den Intershops vorrangig verkauft?
In den Intershops wurden nur anfangs und mit wenig Erfolg DDR-Erzeugnisse verkauft, Krimsekt aber immer. Nicht wenige Erzeugnisse stammten seit den 1970er Jahren aus der sogenannten Gestattungsproduktion, also der Fertigung westlicher Markenerzeugnisse in der DDR. 90 Prozent der in den Intershops verkauften Tabakwaren stammten aus Fabriken in Dresden und Nordhausen.

Weitere Erzeugnisse wurden mit Vorrang aus der Bundesrepublik bezogen. Wegen der großen Mengen bekam die DDR gute Preise im Einkauf und setzte die Ware dann zu Verkaufspreisen ab, die ähnlich denen in West-Berlin oder grenznahen Teilen des Bundesgebiet waren. Der Anteil des Gewinns am Umsatz der Intershops erreichte in den 1980er Jahren bis zu 70 Prozent. Die Intershops waren für die DDR damit eine Goldgrube. Ökonomie siegt immer über Prinzipien.