nd-aktuell.de / 22.04.2014 / Politik / Seite 5

Frühstück beim Toilettengang

Ulrike Henning

Jeder Mensch in diesem Land, der sich schon einmal mit dem Thema Pflege beschäftigt hat, kennt den Pflegekritiker Claus Fussek. Zusammen mit seinem Kollegen Gottlob Schober schildert er in einem kleinen Büchlein, was betagte, demente und behinderte Menschen häufig in Pflegeheimen oder in ihren eigenen vier Wänden erleiden. Fussek und Schober nutzen dafür nicht nur 50 000 Briefe, E-Mails und telefonische Beschwerden, sondern machen auch mit Zahlen und Fakten nachvollziehbar, was sich hinter den Berichten der Kassen verbirgt. So vermerkt ein Qualitätsbericht von 2012, dass 20 Prozent der bedürftigen Pflegeheimbewohner beim Essen nicht unterstützt wurden. Wie wurden sie dann satt?

Viele Vorwürfe sind schwerwiegend: Pflegeheimbewohner werden auf den Toilettenstuhl gesetzt und sollen gleichzeitig frühstücken. Pflegekräfte sollen mehr Leistungen dokumentieren, als sie erbracht haben. Es gibt Hausverbote für Besucher, Ruhigstellung mit Psychopharmaka, Fesselung von Menschen, die noch gehen können, die Magensonde für Patienten, die - wenn auch langsam - noch selbst kauen und schlucken können. Das Paradoxon: Niemand will im Alter oder Krankheitsfall so leben, aber Einhalt geboten wird der »Pflege-Industrie« nicht. Schober und Fussek nennen Ross und Reiter: Heimbetreiber und -aufsicht, Medizinischer Dienst der Krankenkassen, Ärzte und Kostenträger sind in einem Netzwerk eher verstrickt, als dass es zum Vorteil der Bedürftigen genutzt würde. Schlimmer noch: Politik und Gesellschaft akzeptieren seit Jahren den systematischer Betrug an Pflegebedürftigen.

20 Grund- und Menschenrechte für alte und pflegebedürftige Menschen werden aufgelistet und erläutert. Das beginnt beim Essen und Trinken - in Ruhe, nach Wunsch, ausreichend, mit Hilfe, wenn nötig - geht über Bewegung an frischer Luft bis hin zur Beschwerdekultur. Claus Fussek beklagte in den letzten Jahren bei vielen Gelegenheiten, dass nichts geändert würde, obwohl die Probleme nur zu bekannt seien. Es ist zu befürchten, dass das auch weiterhin so bleibt. Unter anderem, weil sich die Pflege-Verantwortlichen nicht an den guten Beispielen in ihrer Branche orientieren.

Claus Fussek, Gottlob Schober: Es ist genug! Auch alte Menschen haben Rechte. Knaur Taschenbuchverlag. München 2013, 208 S., br., 7 €.