nd-aktuell.de / 22.04.2014 / Politik / Seite 1

Todesschüsse in der Ostukraine

Überfall auf prorussischen Kontrollpunkt am Ostersonntag / Moskau nennt Kiew unwillig oder unfähig

Klaus Joachim Herrmann
Ungeachtet der Genfer Vereinbarung blieb die Ukraine auch über die Ostertage ein Krisenherd mit Todesopfern.

Bis zu fünf Todesopfer forderte im ostukrainischen Bilbasiwka rund 18 Kilometer westlich von Slawjansk am Sonntagmorgen der bewaffnete Überfall auf einen Kontrollpunkt prorussischer Kräfte. Diese beschuldigten den faschistischen »Rechten Sektor«. Wjatscheslaw Ponomarjow, Bürgermeister von Slawjansk, klagte: »Man spricht nicht einmal mit uns - man tötet uns einfach.« Von Russland wurden eine Friedenstruppe und Waffen gefordert.

Rund 20 Angreifer in vier Autos hätten das Feuer auf den Posten eröffnet, hieß es in Medienberichten. Kiew bestätigte drei Tote. Das Innenministerium beteuerte, es habe keinen offiziellen Einsatz gegeben. Vielmehr sei es um einen Zusammenstoß zweier Bürgermilizen gegangen.

Das sah Moskau ganz anders und äußerte sich in einer Erklärung »empört über diese Provokation«. Die Behörden in Kiew seien entweder nicht imstande, die Extremisten zu kontrollieren, oder sie wollen dies nicht, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow laut RIA/Novosti. Er prangerte als Bruch der von Russland, den USA, der EU und der Ukraine am Donnerstag geschlossenen Genfer Vereinbarung auch an, dass der Maidan in Kiew nicht geräumt werde. Das gefährde die Lösung des Konfliktes. Der Chef des Außenamtes in Moskau warf Kiew zudem vor, die Verfassungsreform zu verzögern.

US-Vizepräsident Joe Biden, der Montagnachmittag in der ukrainischen Hauptstadt eintraf, will am Dienstag mit den amtierenden ukrainischen Spitzen zusammentreffen. Auf der Tagesordnung von Gesprächen mit Präsident Alexander Turtschinow und Premier Arseni Jazenjuk stehen neben Wirtschaftsfragen auch die Präsidentenwahlen und die Verfassungsreform.

Die Zuversicht, dass der Genfer Rahmenplan umgesetzt werden könnte, blieb bei Beobachtern gering. Vereinbart war schließlich auch eine Entwaffnung der inoffiziellen Milizen. Doch wartete Russland weiterhin darauf, dass der »Rechte Sektor« seine Waffen abgibt, während die US-Regierung und das amtierende Kabinett in Kiew dasselbe von den prorussischen Gruppen in der Ostukraine fordern. US-Außenminister John Kerry sagte in einem Telefongespräch mit Lawrow am Freitag, Moskau müsse sich »vollständig und umgehend« an die Einigung halten.

Erfolgsmeldungen blieben Mangelware. Innenminister Arsen Awakow teilte in Kiew mit, dass in der Stadt Lugansk drei Menschen mit Maschinengewehren festgenommen worden seien. In der Stadt Schitomir im Norden des Landes gaben nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes SBU Mitglieder des »Rechten Sektors« lediglich 21 Kisten mit Brandsätzen ab.

Doch in der Region Donezk blieben Verwaltungsgebäude weiterhin von prorussischen Kräften besetzt. OSZE-Beobachter sollen sie nun davon überzeugen, die besetzten und verbarrikadierten Gebäude in Städten wie Donezk und Lugansk zu räumen und Waffen abzugeben.

Die Zeichen stehen aber nicht auf Kapitulation. So kündigte in Odessa eine »Volksinitiative« an, mehr als 20 Kämpfern der offiziell aufgelösten Sondermiliz »Berkut« sowie des Innenministeriums, die bei den Massenunruhen in Kiew ihr Leben verloren, ein Denkmal zu widmen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier setzte am Sonntag demonstrativ auf Mäßigung. Er sprach sich dagegen aus, den Konflikt mit Russland um die Ukraine mit der Androhung weiterer Sanktionen anzuheizen. Mit Blick auf die in Genf getroffenen Vereinbarungen sagte er, es gehe »jetzt darum, aus der Erklärung Politik zu machen. Das ist nicht einfach, weil wir auch mit Gruppen zu tun haben, die weder auf Kiew noch auf Moskau hören.« Zuletzt hatten Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und die USA erneut Sanktionen gegen Moskau ins Spiel gebracht.

Der LINKE-Vizevorsitzende Jan van Aken nannte es empört einen »Gipfel der Heuchelei«, dass die Bundesregierung in der Ukraine-Krise mit Sanktionen gegen die Regierung Putin drohe, Deutschland aber Gewehre und Munition nach Russland liefere. »Schlimm genug, dass Deutschland überhaupt Gewehre und Munition exportiert«, sagte er gegenüber »Zeit online«. Er könne aber »gar nicht verstehen, dass selbst nach Russland immer noch Waffen geliefert werden, trotz Krimkrise und Sanktionsgetrommel«.

Die »Aktion Aufschrei« hatte es bereits im März als »besonders makaber« bezeichnet, dass Deutschland sowohl Kriegswaffen- und Munitionsausfuhren an Russland und an die Ukraine genehmigt habe. Mit Agenturen

Seiten 7 und 11