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Mensch, wie kannst du dich bewegen

Oskar Schlemmer (1888-1943) inspirierte das Projekt »Bauhaus tanzen«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Es waren fruchtbare Jahre auch für den Tanz, die Jahre der Experimente am Bauhaus, besonders während der Dessauer Ära. Was Oskar Schlemmer, Maler, Bühnenbildner, Lehrer, schon zuvor interessiert hatte, das Verhältnis von Mensch und Raum, von Farbe, Form und Material, führte in der Stadt an der Mulde zu so strikten wie konsequenten Ergebnissen. Ob er nur Gesten einsetzte, seine Tänzer mit Objekten aus Metall oder Glas, mit Reifen oder Stäben austattete, stets ging es ihm um eine typisierende Darstellung, um den mechanisierten Menschen, eine neue Form des Theaters ohne psychologisch motivierte Handlung. Dass der Glaube an den Segen der Industrialsierung mitgespielt haben mag, liegt auf der Hand. In jedem Fall lösten Schlemmers Kreationen, im In- und Ausland gezeigt, rege Diskussionen um die Möglichkeiten menschlicher Bewegung aus.

Gut 70 Jahre nach seinem Tod 1943 hat der »Tanzfonds Erbe«, eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes, das Projekt »Bauhaus tanzen« ins Leben gerufen. Die Stiftung Bauhaus Dessau und das Anhaltische Theater Dessau, das Hochschulübergreifende Zentrum Tanz Berlin (HZT) und die Technische Universität Berlin haben zusammen Bewegungsstücke und Bewegungsinstallationen entwickelt, die Schlemmers Ideen in die Gegenwart transportieren und sich an ihnen reiben.

Entstanden sind elf Kommentare zu den Bauhaustänzen, vom Spiel mit geometrischen Objekten über den Film bis zur performativen Installation. Teils zeitgleich wurden sie in den Berliner Uferstudios gezeigt, laufen im Mai nochmals am Bauhaus Dessau, auf jener Bühne, die Schlemmers experimentelles Podium war. Zwei der interessantesten, künstlerisch zugleich gelungensten Beiträge von rund 20 Minuten Dauer vereinte ein gemeinsames Programm. »Stäbe tanzen« nennen Raphael Hillebrand vom HZT Berlin, Janja Valjarevic und Christian »Mio« Loclair eine Neuinterpretation von Schlemmers abstraktem »Stäbetanz«. Ihre Stäbe sind Bänder, die überkreuzt den dunklen Bühnenraum ausspannen und auf die flackernd Licht fällt. Bald ist nur die rechte, bald die linke Hälfte beleuchtet, bald entsteht ein Markisen-Streifenmuster aus Licht und Schatten, alles im Tempo eines Videoclips und von hypnotischer Wirkung. Einzeln betreten die zwei Tänzer diesen flirrenden Kunstraum, irren durch ein Bändergestrüpp, das auf den Hintergrund projizierte Stäbe noch labyrinthischer machen. Mehrmals kriecht Licht an den Bändern empor oder rastert sie rotweiß.

Der Tanz der beiden HipHopper versucht sich in der fulminanten Stäbearchitektur unter einem leis intensiven minimalistischen Klangdom zu behaupten. Auf langsam tastende Gänge folgen Läufe und der Versuch, den Partner im Wettstreit aus der aufrechten Haltung zu stoßen. Als die Tänzer auf den Bändern balancieren wollen, reißen sie; übrig bleibt der leere Raum. Das Geheimnis ist fort, leider ebenso die tragende Idee; bei rasanten Backspins umwickeln Bänder den Fuß, bis eine »Jalousie« aus Licht die Sitzenden mustert.

Dass dramaturgisches Denken zu einem klarer in sich geschlossenen Ergebnis führt, bewies »Kobolding the Bauhaus« von Juan Pablo Lastras-Sanchez. Auch der Solist aus dem Ballett des Anhaltischen Theaters greift auf einen Teil des Schlemmerschen Konzepts zurück. Links räkelt sich eine kleine weiße Pyramide, rechts ruckelt es in einem Würfel. Heraus schälen sich eine Frau, ein Mann, beide nur mit inkarnatfarbenen Slips bekleidet und so in ihrer vollen Körperlichkeit sichtbar. Als jeder sich hinter seiner quadratischen Holzsäule verborgen hat, ragt nur eine Hand vor, in blaue respektive rote Farbe getaucht. Auf einer Leinwand in der Raumtiefe dehnt sich ein grüner Punkt unaufhaltsam, wird bald die ganze Fläche geschluckt haben.

Davor durchmessen zu Klaus Janeks Klangeinschüben Charline Debons und Joshua Swain ruckhaft wie Tiere den Boden, treffen aufeinander, färben sich beim Betasten wie Schreib-Mal-Maschinen das nackte Fleisch und werden dabei zu wandelnden Farbkompositionen. Kugel, Pyramide, Zylinder taumeln in einem Zimmer über die Leinwand. Als auch auf der Szene Boden und Körper verfärbt sind, das Experiment vollzogen ist, zieht sich jeder wieder in sein Papierdomizil zurück.

Gut getanzt, ungehemmt von der Historie choreografiert und dennoch eine Lektion in Schlemmer heute.

Nächste Aufführung in erweiterter Form am 3. Mai im Bauhaus Dessau

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