Eisenguss und Erdbild

Doppelausstellung in der Galerie Ei

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 2 Min.

Anna Franziska Schwarzbachs Eisenskulpturen entstehen ohne Vorformen aus Gips und Ton. Die Bildhauerin bearbeitet das Material direkt. So sind diese Skulpturen von Fragilität und Porosität, geben aber ebenso Härte, Kraft und Gewalt Ausdruck. Sie haben eine Ausstrahlung, die man der Bronze nicht zuschreiben kann. Der edlen Patina der Bronze setzen sie das Zufällige, Unregelmäßige, Nichtfunktionierende, Verkommene und Verrostete entgegen, die abkürzenden, suggestiven Mittel dieses Metalls. Die Bildnisbüsten und Köpfe, die Torsi und Ganzfiguren wie die mehrfigurigen Reliefs wollen nicht das psychologische Bildnis, nicht die bestimmte Person mit ihren unverwechselbaren Kennzeichen geben, sondern den Menschen in seinem lebendigen Sein.

Die Figuren stehen, hocken, sitzen, den Blick ins Grenzenlose gerichtet, in einer ihnen eigenen, sie gleichsam rahmenden Leere, und Leere ist es, in die die Arme greifen und die die Hände umschließen. Leblose Starre hat von den Gliedern Besitz ergriffen, durch das Gesicht dringen die Konturen des Schädels. Sie verharren an der Schwelle von Selbstbehauptung und Selbstaufgabe, Schmerz und Angst, Einsamkeit und Tod. Die Epidermis ist geschrundet, Bruchstellen bleiben stehen, ohne Übergänge zwischen den Teilen, die kontinuierliche Linie ist abrupt unterbrochen, der Umriss aufgebrochen. Kinderakte in kreatürlicher Hilflosigkeit, solidarisches Zusammenstehen von Mann und Frau, grazile und zerbrechliche Frauenakte. Man könnte sie sich gut und gern als öffentliche Denkmale vorstellen, als Mahnmale zur Bewahrung des Humanen.

Wie Kultfiguren muten die »Almosenfigur« (1982/98, Eisenguss), eine hockende weibliche Figur, die Hand bittend aufs Knie gelegt, und der »Bettelnde weibliche Plagegeist« (2003/05, Eisenguss 2010), ein vorgestreckter Menschenvogelkörper mit fordernden Händen, an. Da die Figuren historisch nicht fixierbar sind, werden sie zu Idolen eines Mythos.

Durch die bizarre Welt dieser Figurationen fällt der Blick auf die Motivwelt der Malerei von Veronika Wagner. Erdbilder, Wetterbilder, gemalt mit Erden, Asche, Bienen- und Kerzenwachs, Farbe und Pigmenten. Archaische Landschaften als Schöpfungs- und Untergangslandschaften. Der Eindruck einer Landschaft (»Ufer«, 1995; »Schmelzeis«, 2013, beide Mischtechnik auf Leinwand) wird nicht aus der Natur abstrahiert, sondern entsteht im Aufbau von Flächen und Raumstrukturen, im Ritzen und Kratzen von Zeichen, Hieroglyphen und Symbolen, im reliefhaften Farbauftrag, die einer Naturgesetzlichkeit entsprechen. Ein freies Spiel mit Bildelementen, die keiner abbildenden Absicht mehr zu dienen brauchen. Gegenständliches wird in leuchtende Farbigkeit aufgelöst.

Zwei gleichaltrige Künstlerinnen haben - jede auf ihre Weise und in ihrem Medium - dem Primat der Form vertraut und neue Formulierungen malerischen und bildhauerischen Denkens eingebracht.

Franziska Schwarzbach - Skulptur, Veronika Wagner - Malerei. Galerie Ei, Senefelderstr. 31, 10437 Berlin, Mi, Do, Fr 15-19 Uhr, Sa 12-16 Uhr, bis 30. April.

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