nd-aktuell.de / 24.04.2014 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 5

Textilfirmen sorgen sich um ihr Image

Ein Jahr nach der »Rana-Plaza«-Katastophe in Bangladesch: Entschädigungszahlungen kommen nur schleppend voran

Jörn Boewe
Die »Rana-Plaza«-Tragödie hat in der Textilbranche manches in Bewegung gebracht. Doch meist blieb es bei Absichtserklärungen.

Ein Jahr nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes »Rana Plaza« in Bangladesch kommen die Entschädigungszahlungen an Überlebende und Hinterbliebene der Katastrophe noch immer nur schleppend voran. Von den 40 Millionen US-Dollar, die ein von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) koordinierter Wiedergutmachungsfonds einsammeln will, waren bis Ostern erst 15 Millionen eingezahlt. »Das ist immer noch völlig unzureichend«, erklärte Kirsten Clodius von der Kampagne für Saubere Kleidung am Mittwoch gegenüber »neues deutschland«. Ein Großteil der Zahlungen sei erst in den letzten Wochen und Tagen eingegangen.

Mindestens 1130 Menschen waren getötet und rund 2500 verletzt worden, als am 24. April 2013 das neungeschossige Hochhaus in der Stadt Sabhar 30 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Dhaka einstürzte. Bei den meisten Opfern handelte es sich um Beschäftigte der Textilindustrie. Mindestens 28 transnationale Modeketten hatten im »Rana Plaza« produzieren lassen, unter anderem C&A, Primark, Benetton, El Corte Inglés, KiK, Mango, die Adler Modemärkte und Walmart. Viele dieser Unternehmen hatten auch in der ein halbes Jahr zuvor ausgebrannten Kleiderfabrik »Tazreen« Textilien herstellen lassen. Damals waren 117 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 200 verletzt worden.

Der Einsturz des »Rana-Plaza«-Hochhauses war nicht überraschend gekommen: Bereits einen Tag vorher waren Risse in den Betonwänden festgestellt worden. Medienberichten zufolge gab es sogar eine halbherzige baupolizeiliche Sperrung, die die Manager der ansässigen Firmen jedoch ignorierten. Trotz der Warnsignale wurden die Beschäftigten genötigt, die Arbeit fortzusetzen. So sei ihnen etwa gedroht worden, »dass der Lohn für zwei Monate einbehalten würde, wenn wir nicht wieder an die Arbeit gingen«, berichtete die Überlebende Shila Begum im »nd«-Interview (Ausgabe vom 12. April).

Der im Mai veröffentlichte Bericht der von der Regierung eingesetzten Untersuchungskommission konstatierte, dass grobe Fahrlässigkeit, etwa die Verwendung minderwertiger Baumaterialien, Hauptursache der Katastrophe war. Eine komplette Etage des Gebäudes war zudem illegal errichtet worden (weshalb in ersten Berichten immer von einem achtstöckigen Hochhaus die Rede war). Der Fabrikeigentümer Sohel Rana und weitere Verantwortliche sollen demnächst wegen Mordes angeklagt werden.

Der »Rana-Plaza«-Einsturz war der bislang verheerendste Industrieunfall der globalisierten Textilbranche. Angesichts der erschütternden Fernsehbilder war der Imageschaden so groß, dass verschiedene Unternehmen sich bereit erklärten, sowohl ein »Arrangement« über Entschädigungen als auch ein Abkommen zur Verbesserung des Brand- und Gebäudeschutzes in den Textilfabriken zu schließen. Treibende Kräfte seien bei beiden Vereinbarungen jedoch nicht die Unternehmen gewesen, sondern die lokalen Gewerkschaften und ihre internationalen Dachverbände UNI Global Union und IndustrieALL, betont Kirsten Clodius. Als erste Firmen seien Primark, El Corte Inglés und die kanadische Supermarktkette Loblaw bereit gewesen, substanzielle Zahlungen in den Entschädigungsfonds zu leisten. Von den in Deutschland ansässigen Unternehmen hat sich bislang einzig der Discounter KiK mit einer halben Million Dollar beteiligt. Weder die Adler Modemärkte noch NKD und Güldenpfennig haben den Angaben des Fonds zufolge etwas eingezahlt.

Vorgesehen ist, dass Hinterbliebene tödlich Verunglückter rund 15 000 Euro erhalten. Für Überlebende sind Entschädigungen im vierstelligen Euro-Bereich im Gespräch - wenn das Geld denn zusammenkommt. Ob damit Verdienstausfälle und Arztkosten beglichen werden können, ist zweifelhaft. Erst seit vier Wochen können Anspruchsberechtigte einen Antrag stellen. Am Jahrestag des Unglücks will der Fonds ihnen symbolisch einen Vorschuss von knapp 500 Euro auszahlen. Dies geschieht, da viele Bengalen kein Bankkonto besitzen, via Handy. Die Betroffenen erhalten eine SMS mit einer Nummer, wie Magnus Schmid von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) erläutert. Damit können sie sich in einem von 70 000 Geschäften oder Kiosken, die mit dem Unternehmen bKash zusammenarbeiten, Bargeld auszahlen lassen.

Auch die Umsetzung des Brand- und Gebäudeschutzabkommens stößt auf Schwierigkeiten: Die Initiative, an der sich 150 Modeunternehmen aus Europa sowie Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen beteiligen, will bis September 1500 Textilfabriken überprüfen. Der größte Teil der auf rund 5000 geschätzten Produktionsstätten im Land ist dem »Accord« bislang fern geblieben. Überhaupt stehlen sich lokale Unternehmer vielfach aus der Verantwortung: Als kürzlich Brandschutzvorkehrungen in vier Fabriken bemängelt wurden, schlossen sie die Betriebe und setzten 5000 Beschäftigte auf die Straße.