»Hände weg vom Fiesta«

Gewerkschaftsaktionen zwischen Fordern und Feiern

  • Anja Krüger, Köln 
und Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 6 Min.
Von den Gewerkschaftsvertretern kamen keine neuen Forderungen, dafür mussten sie sich auf den eigenen Kundgebungen Kritik anhören.

Am Ende sollen alle auf dem Platz mit dem Chor auf der Bühne das Lied »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit« singen. Der Chor gibt sich redlich Mühe, kaum einer von den einigen Tausend auf dem Kölner Heumarkt stimmt ein. Es klingt alles andere als kämpferisch. Endlich ist Schluss. »Hiermit ist der politische Teil zu Ende. Auf Wiedersehen am 1. Mai 2015«, verabschiedet sich der Kölner DGB-Vorsitzende Andreas Kossiski.

Wiedersehen ist genau das richtige Stichwort für die 1.-Mai-Veranstaltung in Köln. Viele kommen hierhin, weil sie frühere politische oder persönliche Weggefährten treffen wollen. Der Kampftag der Arbeiterklasse - in Köln ist er eine Mischung aus Klassentreffen und Betriebsausflug. Manche begegnen sich schon beim Auftakttreffen vor dem DGB-Haus am Hans-Böckler-Platz und sammeln sich in den Abteilungen der IG Metall, von ver.di, der NGG oder der IG BCE. Einige kommen auf eigene Faust wie Trude Menrath und ihre Mitstreiterinnen. Sie tragen ein lila Stofftransparent mit einem Frauenzeichen mit geballter Faust. »Diese Wirtschaft tötet«, steht darauf. »Solange ich politisch denke, bin ich schon beim ersten Mai«, sagt Menrath. Sie läuft im hinteren Teil des Demozugs nach den Gewerkschaften und dem Parteien-Block mit der LINKEN, den Grünen und den Sozialdemokraten.

Doch viele sparen sich den langen Weg und gehen gleich zur Abschlusskundgebung. Erich Wenzel wartet wie einige Hundert auf dem Heumarkt, auf dem Gewerkschaften, Parteien, Vereine und die Verbraucherzentrale Stände aufgebaut haben. Während die 1.-Mai-Demonstration noch auf dem Weg war, hat sich der 75-Jährige den Sitzplatz auf einer Bank der Bierzeltgarnituren direkt vor der Bühne gesichert. »Seit 40 Jahren gehe ich zur 1.-Mai-Kundgebung«, sagt er nicht ohne Stolz. »Ein Fläschchen Bier trinken, dann mit alten Bekannten sprechen, das ist immer schön.« Wenzel ist seit 1970 in der SPD. »Aber manchmal habe ich schon große Zweifel, ob das alles so richtig ist«, sagt er mit Blick auf die Große Koalition.

Unter denen, die jedes Jahr kommen, ist auch Karl-Heinz Gerigk, der als »Kalle für Alle« zur Symbolfigur der Bewegung gegen Luxussanierung und Mietwucher wurde. Dass er nach wie vor nach einer Wohnung sucht, hat ihn nicht davon abgehalten, zu demonstrieren. »Es ist für mich selbstverständlich, am 1. Mai für soziale Rechte zu kämpfen«, sagt Gerigk, der schon lange ver.di-Mitglied ist.

Nur wenige sind zum ersten Mal dabei, wie Peter Salmingkeit, der mit den vielen Kollegen vom Autobauer Ford im Block der IG Metall mitläuft. Er trägt ein Schild. »Hände weg vom Fiesta«, steht darauf. Noch wird der Fiesta in Köln gebaut. »Ford droht damit, einen Teil der Produktion nach Rumänien zu verlagern«, erklärt Salmingkeit. »Damit erpressen sie uns. Wir sollen auf Lohn verzichten.« Der Block der IG Metall ist viel größer als in den vorherigen Jahren. Vielleicht sind es drohende Arbeitskämpfe bei Ford und in der Bauindustrie, vielleicht die kommenden Europa- und Kommunalwahlen - es sind deutlich mehr Leute zur Demonstration und Kundgebung in Köln gekommen als in den vergangenen Jahren.

Das Anliegen der Ford-Arbeiter greift der Hauptredner der diesjährigen 1.-Mai-Kundgebung auf, der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel. »Die gesamte Belegschaft fordert den Erhalt der Fiesta-Fertigung in Köln. Und die gesamte IG Metall steht hinter Eurer Forderung«, ruft er. Damit kann er bei den Kollegen auf dem Platz punkten. Doch weite Teile seiner Rede laufen ins Leere. »Wir haben jetzt fünf Monate Große Koalition erlebt. Zumindest die grobe Richtung stimmt«, sagt er mit Hinweis auf den Mindestlohn und die abschlagsfreie Rente nach 45 Jahren Arbeit. Die Menschen auf dem Platz wissen sehr wohl, dass der Mindestlohn nicht für alle kommen soll und nur wenige in den Genuss der Rente mit 63 kommen werden. Wetzel prangert steigende Gewinne der Unternehmen bei sinkenden Investitionen an, fordert aber keine Steuererhöhungen. Die Gewerkschaften hätten in der Krise ihren Beitrag geleistet, die Arbeitszeit verkürzt, Kurzarbeit organisiert und Arbeitszeitkonten gestaltet. »Wir haben die Fehler ausgebügelt, die andere verursacht haben«, sagt er. Jetzt müsse etwas zurückkommen. »Ich sage es ganz deutlich: Zurückhaltung war gestern!« Maximal ein Viertel der Leute auf dem Platz hören ihm zu, die meisten stehen in Grüppchen und unterhalten sich: Man hat sich lange nicht gesehen. Am Ende seiner Rede bekommt Wetzel höflichen Applaus.

Der DGB Köln hätte auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als Hauptrednerin haben können. Doch der Kreisvorstand lehnte dankend ab, er will keine hochrangigen Politiker mehr. Zu gut ist den Gewerkschaftern noch der Eklat vor zehn Jahren in Erinnerung, als der damalige NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück bei der 1.-Mai-Kundgebung wegen massiver Proteste seine Rede unterbrechen musste.

Ver.di-Chef Frank Bsirske betonte in Frankfurt am Main, es sei höchste Zeit für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und bekräftigte die Forderung nach einer baldigen Anhebung von 8,50 Euro auf zehn Euro pro Stunde. Ausnahmen zulasten von Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen seien nicht hinnehmbar. Die Europawahl am 25. Mai biete die Chance für einen Kurswechsel in Richtung soziales, solidarisches und demokratisches Europa. Die Rolle des EU-Parlaments werde häufig unterschätzt,so Bsirske; es hätte die Möglichkeit, arbeitnehmerfeindliche Vorstöße der EU-Kommission zu konterkarieren. Ebenso könne das EU-Parlament den Verbraucherschutz stärken und auf eine Änderung des transatlantischen Freihandelsabkommens hinwirken. Bsirkske forderte einen Europäischen Zukunftsfonds mit einem Volumen von 2,5 Billionen Euro, gespeist aus Vermögensabgabe und Finanztransaktionssteuer. Damit müssten Investitionen in den Bereichen Bildung, und Gesundheitswesen finanziert werden. Nur so könne verhindert werden, dass in Südeuropa eine verlorene Generation heranwachse.

Hamburg erlebte eine Demo innerhalb der Demo: Der Bürgermeister und SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz marschierte im DGB-Tross unter dem Motto »Gute Arbeit. Soziales Europa« mit und musste sich dabei von einem Teil der Demonstranten massive Kritik an seiner Politik anhören.

»Olaf Scholz, genug gehetzt - Bleiberecht wird durchgesetzt«, skandierten überwiegend junge Teilnehmer, die den Umgang des Senats mit der Lampedusa-Flüchtlingsgruppe ablehnen. Am Hauptbahnhof trugen Polizisten etwa ein Dutzend Sitzblockierer von der Straße. Am Vorabend hatten bereits etwa 1300 Menschen an der Demonstration »Freizügigkeit jetzt« teilgenommen.

Vom Balkon des Gewerkschaftshauses bezeichnete es die neue DGB-Landesvorsitzende Katja Karger als »Verpflichtung, das vielfältige Zusammenleben in Hamburg, Deutschland und Europa zu verteidigen.« Karger erinnerte an 30 000 Zeitarbeiter und 170 000 Mini-Jobber in der Hansestadt: »Den Mindestlohn haben wir durchgesetzt, jetzt müssen wir prekäre Beschäftigungsverhältnisse bekämpfen.«

Hartz-IV-Kritikerin Inge Hannemann griff am Stand der MLPD zum offenen Mikrofon und bestritt - mit LINKEN-Fahne in der Hand - die gewerkschaftliche Darstellung: »Nicht der DGB hat sich für den Mindestlohn eingesetzt, es war die LINKE, es waren Politiker und Einzelaktivisten. Für mich sieht sozial anders aus. Wir müssen mit mindestens zehn Euro beginnen.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal