nd-aktuell.de / 02.05.2014 / Berlin / Seite 11

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Volle Wiesen, Straßen, U-Bahnen: Das Kreuzberger »Myfest« lockte Tausende zu Cocktail und Grillgut

Nicolas Šustr
Per Express bringt die U-Bahn die feierlustigen Massen zum Spektakel »Myfest« nach Kreuzberg. Wer nun in Köfte und Mate schwelgen oder wer vielleicht demonstrieren will, bleibt im Dunst verborgen.

Am Kottbusser Tor stehen freundliche junge Damen, die Plastikblumen verteilen. Sie kommen nicht von der Gewerkschaft, sondern von IKEA und informieren über die Gartenmöbelserie des Einrichtungshauses. Auf der Balustrade des Brückenhauses über der Adalbertstraße stehen Polizisten, darunter ist die Eingangskontrolle.

Junge amerikanische Touristen, die doch gerade eben gelernt haben, dass man in Berlin alles darf, sogar auf der Straße Alkohol trinken, müssen nun lernen, dass sie mit ihren Bierflaschen nicht hinein dürfen. Glasflaschen sind auf dem ganzen Gelände zwischen Görlitzer Bahnhof, Mariannen- und Oranienplatz verboten. Sie tragen es mit Fassung. »Ich habe gehört, dass das etwas Politisches ist«, gibt Patricia, Touristin aus Seattle, ihr ganzes Wissen über die Veranstaltung preis. Etwas bizarr ist es dann doch, dass nur wenige Meter hinter dem Kontrollpunkt an einem Stand ganz selbstverständlich Club Mate und weiteres in Glasflaschen verkauft wird. Die Pfandsammler freuen sich über die vielen Flaschen, die ihnen förmlich in den Schoß fallen. Teilweise wissen sie gar nicht mehr, wohin mit dem ganzen Leergut. Am späten Nachmittag riegelte die Berliner Polizei wegen des »starken Besucherstroms« am Kottbusser Tor den Zugang zum Myfest ab.

Jeder neue U-Bahnzug spuckt Massen an Besuchern aus. Am U-Bahnhof Warschauer Straße sorgt BVG-Personal dafür, dass die Berlin-Besucher, die anscheinend das erste Mal im Leben öffentliche Verkehrsmittel nutzen, nicht nur in die letzten zwei Wagen steigen, sondern sich auf den ganzen Zug verteilen. Am Nachmittag sperrt die BVG die U-Bahnhöfe Görlitzer Bahnhof und Kottbusser Tor.

Das Myfest ist ein wahres Massenereignis. Kurz nach 13 Uhr ist die Oranienstraße bereits voll mit Menschen, der Oranienplatz hingegen ist noch sehr locker bevölkert. »Überall ist Widerstand«, verkündet das quer über die Straße gespannte Transparent. Es ist eher überall anstehen angesagt. Besonders am jamaikanischen Stand, an dem eine ganze Hühnerfarm säuberlich zerteilt auf den Grills liegt. »Köfte, Gözleme, Curry oder ...?«, fragen denn auch passend auf Twitter die Berliner Tourismuswerber nach den kulinarischen Favoriten der Besucher. »Lungenkrebs«, sagt sich sicherlich der eine oder andere gesundheitsbewusste Zeitgenosse angesichts der Rauchschwaden, die durch die Häuserschlucht der Oranienstraße wabern.

Ein bisschen politisch ist es aber doch. Der Infocontainer der Flüchtlinge am Oranienplatz schafft es, das Interesse zumindest eines Teils der Festbesucher auf sich zu ziehen. Genauso wie das Camp der Hungerstreikenden, an dessen Stelle ursprünglich die Rockbühne des Myfests stehen sollte. Nach Gesprächen mit der Integrationsstaatsministerin Aydan Özoguz (SPD) haben die Flüchtlinge den Hungerstreik vorläufig ausgesetzt. Mit Blümchen und Informationsplakaten wurde das Schlafsacklager sogar extra zum Fest etwas aufgehübscht. Und niemand muss sich vor oder nach dem Zug durch die Fress- und Saufstände mit dem Anblick von sich seit drei Wochen im Hungerstreik befindlichen Menschen auseinandersetzen.

Dann gibt es ja auch noch Musik auf dem Fest. Es ist eine interessante Idee, wenn Rockband, Sambagruppe und Elektrogeiger so nah beieinander stehen, so dass das Publikum in den atemberaubenden Genuss eines ungeplanten und unharmonischen Crossovers kommt. Ob die Sambatrommler nun der beliebteste Act waren oder der Aufenthalt direkt bei ihnen nur den Vorteil bot, dass man von der konkurrierenden Musik wenigstens nichts mitbekam sei dahingestellt.

»Das Myfest geht mir schon jetzt auf den Sack! Wenn die Leute wenigstens demonstrieren statt im Weg stehen würden«, erklärt um 14 Uhr ein Anwohner. Es lebe die Bratwurst!