Lob des Nilpferds

»Müllermontag«: Frank Raddatz und Wolfgang Engler

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Am schönsten sei das, so Heiner Müller, was absolut fremd ist. Das Fremde als Totalopposition gegen alles Bestehende. Politik, Macht, das ist die Realität. Kunst ist das Fremde. Frieden mit der Politik stört den Sinn der Kunst: Störenfried zu sein.

Der Publizist Frank Raddatz sprach beim »Müllermontag« im Literaturforum im Brecht-Haus mit Wolfgang Engler, Rektor der Hochschule für Schauspiel »Ernst Busch«. Nannte das Theater einen »Raum der Verantwortungslosigkeit«, wo jeder Dialog mit der Politik verweigert werden möge. Der Künstler: ein Rivale der Welt - Müllers Credo gegen jede Art von Wiederspiegelungstheorie. Kunst habe unmoralisch, anarchisch zu sein wie der Traum. Bildnisse ohne Scham, ohne Übergänge, ohne Rücksicht, ohne Logik, ohne die Trugschlüsse der Vernunft. Kunst, so Müller, müsse die Wirklichkeit unmöglich machen, sie also blamieren und ihr die Chance nehmen, uns zu besetzen. Kunst müsse, so Müller, wie ein Nilpferd sein. Ein Ding gleichsam, das du interpretieren kannst, aber es hat mit allem nichts zu tun.

Politisches Theater heute. Theater? Darum ging es nicht wirklich an diesem Abend. Es ging um Baupläne, um Ideen gegen die geistige Obdachlosigkeit. Baupläne sind vorhanden, aber vergilbt, eingerissen, unleserlich geworden. Und die Gegend? Bietet ihren einzigen Grund an: den Sumpf. Engler nannte die derzeit praktizierende Politik ein »Feld des Grauens«, keine Sphäre habe so sehr an Würde verloren; für Handlangerei genüge »mäßiges Personal«. Er erinnert in schöner Empathie an Hannah Arendt: »Der Sinn von Politik ist Freiheit.« Freiheit als ein Miteinander-Reden, in dem keine Denkungsart Dominanz beansprucht.

Eine schöne Vorstellung von Arbeit an der Zukunft. Hoffnung, das Künftige sei auch das Bessere. Zerstobene Hoffnung. Zukunft heißt: Es wird wohl nur schwieriger, das Leben. Und ideenloser. Engler nennt Gründe. Zum einen: »die Megaverbrechen« des 20. Jahrhunderts, der einschüchternde, energieabsaugende Nachhall der Diktaturen - die Idee des Sozialismus sei »von den Steinschlägen ihrer Selbstverwirklichung zermalmt« worden. Zum anderen: die Probleme des Kapitalismus, die so nicht sichtbar waren, »als er selber noch ein lockendes soziales Modell« war. Und schließlich die Umbrüche 1989, im Glück das Unglück: Ankunft in einer Gesellschaft, die »nur Gegenwart besetzt, als gebe es weder Vergangenheit noch Zukunft« - beides als Denkstoff nicht nötig, wenn man in der Selbstfeier angelangt ist. Nirgends, so Engler, locke ein mitreißender Entwurf. »Kommunismus, Marxismus, das findet in Teilaspekten Gehör, hat aber wahrscheinlich keine wirkliche Chance der Revitalisierung.« Unsere Krise bestehe »im Fehlen einer alternativen Welterzählung«. Wir leben im drögen Danach. Der glaubwürdigen Utopien, der feurigen Aufstände, der zornigen Massenbewegungen, der geistigen Streitkulturen.

Wieder Müller. Sein Satz: »Das letzte Programm ist die Erfindung des Schweigens.« Fazit eines Dichterlebens, das in Frühzeiten noch von den politischen Verhältnissen im Osten getragen wurde. Am Ende dann ein Denken aus strahlender Finsternis. Keine Dramatik mehr - für Tragödien fehlen Charaktere. Engler und Raddatz beim Kern: der Ratlosigkeit. Engler schüttelt den Kopf: Er könne doch nicht vor seine Studenten treten, junge Leute mit Energie und Lust, und ihnen mit der Erfindung des Schweigens kommen! Also, was tun?! Den Mainstream meiden - »das ist der Raum für die weniger Begabten«. Kunst müsse weiter gegen das revoltieren, was nur immer effizient und berechenbar sein will. Der Mensch möge sich nicht fraglos, körperlos auflösen in den Gegebenheiten, sondern Handlungen anstreben, »die ihm zurechenbar sind«, die ihn kenntlich halten in der Uniformität. Eigensinnpflege. Kultur der Unterscheidungsmerkmale. Arbeit daran, ein Nilpferd zu werden.

Raddatz steuert einen Aufruf von Einar Schleef bei: »Erobert euer Grab!« Der Satz feiert, dass es ums Leben vor dem Tode geht - gib diesem Leben Form, bau ihm eine unverwechselbare Gestalt. Aufgeben muss irgendwann jeder, aber gib dich deshalb nicht auf. Schön. Na schön.

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