Resignation hat sich breitgemacht

Der Arzt Kim Yang-hyun über die gesundheitlichen Folgen des langen Wartens der Familien

  • Lesedauer: 4 Min.
Kim Yang-hyun ist Professor am Korean University Hospital Anam in Seoul. Er gehört zu den Ärzten, die seit fast drei Wochen die Angehörigen der Opfer des Fährunglücks in einer Turnhalle in Jindo behandeln. Wie er berichtet, verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Angehörigen. Mit dem Mediziner sprach Felix Lill.

nd: Herr Kim, Sie sind seit zwei Wochen in der Turnhalle in Jindo stationiert, wo sich die Angehörigen der Passagiere der »Sewol« eingerichtet haben. Können Sie die Stimmung hier beschreiben?
Kim: Eine Woche nach dem Untergang am 16. April bin ich hergekommen, um einen Kollegen abzulösen. Am Anfang hatten viele Menschen noch die Hoffnung, dass es ihre Angehörigen, die meisten sind Schüler, lebend aus dem Schiff schaffen würden. Mittlerweile wartet man eher auf die Körper. Die Stimmung ist sehr bedrückt und tieftraurig. Aber gleichzeitig hoffen die Verbleibenden weiter auf die Ankunft der Körper, damit eine standesgemäße Bestattung möglich ist. Das ist kulturell sehr wichtig in Korea.

Hier wirkt alles recht ruhig, die Menschen sind zurückhaltend.
Ja, das stimmt. Anfangs war das allerdings anders, als noch mehr Menschen reale Hoffnung hatten, dass ihr Kind lebend zurückkehrt. Mittlerweile hat sich eine Art Resignation breitgemacht. Gleichzeitig weiß aber jeder, der hier auf dem Hallenboden übernachtet, dass man Rücksicht aufeinander nehmen muss. Die Menschen behalten ihre Gefühle meistens für sich und wollen sich niemandem aufdrängen.

Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat diese psychisch schwierige Lage auf die Familien?
Viele dehydrieren, weil sie nicht essen oder trinken wollen. Wir machen zweimal täglich eine Visite in der Turnhalle, um das zu kontrollieren. Wer eine Behandlung möchte, muss sich nur melden. Vielen geben wir Flüssignahrung. Dazu kommen die typischen Probleme, wenn viele Menschen längere Zeit auf engem Raum zusammenleben: Schlafstörungen, Erkältung, Husten, was natürlich ansteckend ist, und durch die dürftigen Schlafbedingungen Rückenbeschwerden. Durch die seelische Anstrengung kommt auch Bluthochdruck häufig vor.

Gibt es typische Verhaltensmuster, die sich auf den Gesundheitszustand niederschlagen?
Wenn auf den zwei großen Leinwänden in der Halle die Nachrichten kommen, beruhigen sich die meisten Menschen, weil sie das Neueste wissen wollen. Ähnlich ist es mit den Aushängen vor dem Eingang zur Halle, wo täglich die neu geborgenen Körper beschrieben stehen. Die Listen werden dann sorgfältig durchgelesen. Wenn der Angehörige darunter ist, brechen einige allerdings zusammen. Es ist sehr schwierig, so eine wichtige Information auf diese Weise, auf einem A4-Blatt an einer Pinnwand, zu sehen. Wenn die Familien dann zum Hafen fahren, um den Körper zu sehen, begleiten wir sie mit einem Psychologen.

Hat sich der Gesundheitszustand mit der Zeit eher verschlechtert?
Das ist individuell sehr verschieden. Den meisten geht es am schlechtesten unmittelbar nachdem sie den toten Körper eines Angehörigen gesehen haben. Aber einige sagen auch, dass sie ein Gefühl der Erleichterung empfinden, weil das Warten ein Ende hat. Wahrscheinlich kann man sagen, je länger man hier Zeit als Wartender verbringt, umso schlechter kann der gesundheitliche Zustand werden.

Was kann außer den ärztlichen Behandlungen in so einer Ex-tremsituation positiv auf die Gesundheit einwirken?
Hier wirken sehr viele Faktoren positiv auf die Menschen ein. Unglaublich viele Freiwillige sind aus dem ganzen Land gekommen, um zu helfen. Rund um die Uhr stellen sie Nahrung bereit, teilen Hygieneartikel aus, stellen Gebetsplätze bereit und den Shuttleservice zum Hafen. Die Angehörigen sind dafür dankbar, das merkt man. Dann gibt es noch vier Ärzte und deutlich mehr Krankenschwestern. Bei uns hilft schon die Anwesenheit, das Wissen also, dass sie hier in - gesundheitlich gesehen - guten Händen sind.

Brauchen auch die vielen freiwilligen Helfer manchmal ärztliche Betreuung?
Ich denke, ein Grund, warum so viele Menschen helfen, ist ein Gefühl der Verpflichtung für ihre Gesellschaft. Die meisten Helfer sind zögerlich, uns Ärzte in Anspruch zu nehmen, weil die wirklich Leidtragenden ja die Familien der Toten und Vermissten sind. Das ist eine schwierige Lage, aber ich denke, es ehrt die Menschen auch. Nur zeigen landesweit Zahlen schon, dass Depressionen seit dem Untergang der »Sewol« stark zugenommen haben. Und zwar bei Menschen, die auf der Fähre niemanden verloren haben, den sie persönlich kannten.

Wie schwierig ist die Arbeit für die Ärzte?
Es ist wirklich nicht einfach. Wir wollen helfen, gleichzeitig wollen wir uns auf keinen Fall aufdrängen. Und es ist manchmal auch nicht leicht, die Gefühle der Menschen zu lesen, wenn sie sich behandeln lassen, weil sie sich immer mehr zurückziehen. Das Lesen des mentalen Empfindens ist aber gerade bei psychosomatischen Erscheinungsbildern von großer Bedeutung. Nach der Zwölf-Stunden-Schicht bin ich jeden Tag ziemlich geschafft.

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