nd-aktuell.de / 10.05.2014 / Wissen / Seite 26

Stirb jung, aber so spät wie möglich (Teil 2)

Reinhard Renneberg, Hongkong, und JoJo Tricolor, Cherville

Das Risiko für viele tödliche Krankheiten schnellt nach 65 Jahren Lebensalter dramatisch in die Höhe. Präventive altersverzögernde Medikamente würden echte Lebensqualität bringen und nicht nur Leidenszeit verlängern.

Bis in die späten 1980er Jahre betrachteten die meisten Biologen das Altern als unabänderlichen Prozess. Ab 1990 wurden Gen-Mutationen in Rundwürmern gefunden, die wunderbarerweise die gesunde Lebenszeit der Nematoden verdoppelten. Das Altern bei den Wirbellosen stellte sich nun als erstaunlich formbar dar, von Genen geregelt und genetisch manipulierbar. Die nächste Überraschung war die Entdeckung von »Gerontogenen« bei Mäusen und menschlichen Gen-Varianten, die mit Langlebigkeit bzw. gesundem Altwerden verbunden sind.

Mit dem Verständnis der Gen-Regulation wurde auch das Rätsel der »Hunger-Diäten« klarer. Sehr niedrige Kalorien-Zufuhr in der Mäuse-Jugend verlängert das Leben von Nagern drastisch und vermindert ihre Alterskrankheiten. Kalorienreduziert ernährte Tiere waren darüber hinaus abgehärtet gegen Stressfaktoren, z. B. oxidativen Stress durch aggressive freie chemische Radikale. In der chinesischen Geschichte wurde sehr oft gehungert, das müsste ja ein Vorteil sein! Eine positive epigenetische Zukunftsoption der Chinesen?

Eine Frage im Hongkonger Café Scientifique war, ob es auch ohne Hunger ginge. Das nach der Osterinsel (Rapa Nui) benannte Rapamycin ist eine hungerfreie Antwort. Neueste Studien zu Rapamycin zeigen, dass die Substanz, die die Abstoßung transplantierter Organe verhindern soll, auch bei Mäusen das Altern verlangsamt. Durch einen Planungsfehler der Forscher wurden 20 Monate alte Mäuse behandelt, das entspricht etwa einem 60jährigen Menschen. Die männlichen Tiere lebten 28 Prozent länger als Kontrolltiere, die Mäuse-Weibchen sogar 38 Pro᠆zent - und das bei verbesserter Gesundheit! Experimente an Menschen sind nicht bekannt.

Menschen, die 100 Jahre und älter werden, besitzen ganz sicher Gen-Varianten, die sie ihr Leben lang bei guter Gesundheit halten. Die langlebigste Population der Welt in der japanischen Präfektur Okinawa hat 80 Prozent weniger Brust- und Prostata-Krebs als US-Amerikaner, 40 Prozent weniger Hüftprobleme und nur die Hälfte der Demenzfälle.

2005 untersuchte die US-amerikanischen Rand Corp. die ökonomischen Konsequenzen von zehn medizinischen Durchbrüchen für alte Menschen. Die meisten Kosten würde danach ein Antiaging-Medikament sparen, das zehn gesunde Jahre zur Lebenserwartung für jedermann hinzufügen könnte. Die RAND-Studie zusammenfassend: »Nur ganz wenige Bereiche der modernen biomedizinischen Forschung bringen bessere Ausbeuten für jeden investierten Forschungs-Dollar als die Altersforschung!«

»Der Weg ist das Ziel«, wusste schon Lao-Tse vor 2600 Jahren.