nd-aktuell.de / 08.07.2006 /

Petljura

Gerd Fesser
Paris, 25. Mai 1926. An diesem Frühlingstag verließ ein Mann, der Ende vierzig sein mochte, ein Restaurant und wurde sogleich von einem wenig jüngeren Mann angesprochen. »Sind Sie Petljura?«, fragte dieser. Er wartete die Antwort aber nicht ab, sondern zog eine Pistole und schoss. Der Schütze versuchte nicht zu fliehen, ließ sich bereitwillig festnehmen und sagte: »Ich bin glücklich, einen Mörder getötet zu haben.« Wer war der Ermordete, wer sein Mörder? Symon Petljura wurde 1879 in der ukrainischen Stadt Poltawa (wo der legendäre Schwedenkönig Karl XII. 1709 seine entscheidende Niederlage erlitt) geboren. 1905 war er Mitbegründer der Ukrainischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, während des Ersten Weltkrieges diente er als Offizier in der zaristischen Armee. Nach der Februarrevolution rief die ukrainische Nationalbewegung eine Autonome Ukrainische Republik aus. Petljura wurde Kriegsminister der Ukraine, dann »Hauptataman« der Armee, schließlich Premier. Doch Ende 1919 brachte die Rote Armee die Ukraine unter ihre Kontrolle. Während des Polnisch-Sowjetischen Krieges 1920/21 stand Petljura auf der Seite Polens, nach dem Krieg emigrierte er nach Paris. Zwischen 1918 und 1920 war er für schwere Pogrome seiner Truppen gegen die Juden verantwortlich. Auch von der »weißen« Armee Denikins und den Polen wurden solche inszeniert. Insgesamt sind in der Ukraine während des Bürgerkrieges 100 000 Juden ermordet worden. Mehr als 20 Jahre später, vom 25. bis 27. Juli 1941, ermordeten ukrainische Nationalisten in Lwow mit Unterstützung der deutschen Besatzer mehr als 2000 Juden. Sie selbst nannten diese Massaker »Petljura-Tage«. Petljuras Mörder Salomon Schwarzbart entstammte einer frommen jüdischen Familie in Smolensk. Er emigrierte 1906 im Alter von 20 Jahren nach Paris und arbeitete als Uhrmacher. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er in der französischen Armee. Er wurde 1917 nach Odessa entsandt und erfuhr von den Untaten der Petljura-Truppen. Sein Versuch, jüdische Selbstschutz-Gruppen zu bilden, hatte wenig Erfolg. Schwarzbart kehrte nach Paris zurück. Im Dezember 1925 machte er hier Petljura ausfindig. Der Prozess gegen den Attentäter endete mit einem sensationellen Freispruch. Die Geschworenen erklärten: Schwarzbarts Tat könne nicht als Mord gewertet werden angesichts der Gräueltaten der Petljura-Truppen.