nd-aktuell.de / 10.05.2014 / Politik / Seite 5

Die Tür ist mindestens halb offen

Gysi und Ströbele bewerten die Chancen auf eine Vernehmung Snowdens in Berlin unterschiedlich

Sebastian Blum und Aert van Riel
Freiwillig wird die Bundesregierung Edward Snowden nicht einreisen lassen, ist sich die Opposition sicher. Notfalls will sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Vor dem Astra Kulturhaus in Berlin-Friedrichshain hatte sich in den Abendstunden eine stattliche Schlange gebildet. In dem alternativen Laden, wo ansonsten Partys oder Konzerte stattfinden, ging es am Donnerstag um Politik, genauer gesagt um die Konsequenzen aus dem NSA-Spionageskandal. Dass sich so viele Menschen darüber informieren wollten, lag sicherlich auch an den prominenten Diskutanten. Hans-Christian Ströbele (Grüne) wurde in dem Berliner Bezirk direkt in den Bundestag gewählt und hat durch sein Treffen mit dem früheren NSA-Mitarbeiter Edward Snowden in Moskau seine Popularität noch steigern können. Der Bildungsverein Helle Panke hatte zudem Linksfraktionschef Gregor Gysi eingeladen sowie als Moderatorin Constanze Kurz vom Chaos Computer Club.

Uneins waren sich Ströbele und Gysi, wie gut die Chancen stehen, Snowden nach Berlin zu bringen. Ströbele äußerte sich vorsichtig optimistisch, dass eine Vernehmung auch vor dem NSA-Untersuchungsausschuss, in dem er Mitglied ist, stattfinden könnte. Die Tür sei mindestens halb offen. Gysi war skeptischer und verwies auf die Hartnäckigkeit der Bundesregierung, die nicht von ihrer Linie abweichen wird.

Die Union will Snowden nur per Video oder direkt in Moskau befragen, wo er kaum etwas von seinem Wissen preisgeben könnte. Sie wehrt sich dagegen, dem Whistleblower einen Aufenthaltstitel und Personenschutz zuzusprechen. Das würde die Bundesregierung dazu zwingen, den früheren Geheimdienstmitarbeiter aufgrund des Auslieferungsabkommens an die USA zu überstellen, argumentieren die Konservativen. Als möglichen Ausweg, eine Vernehmung in Deutschland zu erzwingen, sehen die Oppositionspolitiker den Rechtsweg über das Bundesverfassungsgericht.

Laut einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages besteht nach deutschem Recht kein Zwang, einem Auslieferungsantrag Folge zu leisten. Demnach kann Snowden zur Wahrung politischer Interessen Deutschlands einen Aufenthaltstitel erhalten. Das Innenministerium müsste eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, wenn nicht »schwerwiegende, das Staatswohl Deutschlands gefährdende außenpolitische Belange dagegen sprechen«.

Gysi und Ströbele vertraten die Meinung, dass wesentliches Interesse der Bundesrepublik an einer Befragung Snowdens wegen der millionenfachen, rechtswidrigen Ausspähung deutscher Bürger bestehe. Ströbele betonte aber, Snowden wisse, dass trotz Zugeständnissen die Gefahr einer Auslieferung bestehen würde. Darüber wurde er von deutschen Anwälten aufgeklärt. »Es wäre seine persönliche Entscheidung, ob er das Risiko eingeht, deutschen Boden zu betreten«, so Ströbele.

Auch die Rolle des BND wurde in der Debatte beleuchtet. Im Ausschuss soll der Ex-Drohnenpilot Brandon Bryant vernommen werden. Er hatte in einer US-Einheit gedient, die an über 1600 Tötungsdelikten beteiligt gewesen sein soll. Es besteht der Verdacht, dass die Durchführung dieser Straftaten auch mit Informationen des BND ermöglicht wurde. Selbst wenn die Bundesregierung nichts davon wusste, müsse man den BND mindestens auf Beihilfe zum Mord verklagen, forderte Ströbele.

Einig waren sich der Grüne und der LINKE, dass der öffentliche Druck weiter steigen müsse, um Snowden, der seine gesamte Existenz im Interesse des Gemeinwohls aufgab, zu schützen. Ein weiterer Schritt in diese Richtung wurde in der Ausschusssitzung vom Donnerstag gemacht. Vor den Beratungen übergaben Bürgerrechtler mehr als 191 000 Unterschriften an die Ausschussmitglieder. In ihrem Appell fordern das Kampagnen-Netzwerk Campact, Digitalcourage e.V. und das Whistleblower-Netzwerk e.V. eine vom Asylverfahren unabhängige Aufenthaltserlaubnis für Snowden, verbunden mit einem Zeugenschutzprogramm. Die Zeit drängt. Denn Snowdens Asyl in Russland läuft Ende Juli aus.