Der heiße Herbst ist vorbei

Reiner Hoffmann ist das neue Gesicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit 93,1 Stimmen ist Reiner Hoffmann zum neuen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt worden. Dabei dürfte er einigen der 400 Delegierten erst seit kurzem bekannt sein.

Am Ende - oder besser am Anfang seiner neuen Karriere - reckt Reiner Hoffmann die Faust in die Höhe. »Vielen Dank für dieses tolle Ergebnis«, ruft er sichtlich erleichtert den applaudierenden Delegierten im Saal zu. So viel Gestik ist bei ihm selten zu sehen. Die 93,1 Prozent der Stimmen stärken dem neuen obersten Gewerkschafter des Landes ordentlich den Rücken, wenn der 58-Jährige sich zukünftig im Berliner Politikbetrieb zurechtfinden muss.

Während Hoffmann zwar das oft komplizierte Geflecht in Brüssel vertraut ist, gilt er in Berlin als Neuling. Auch innerhalb der Gewerkschaften war er nahezu unbekannt. Nachdem die Vorsitzenden der acht deutschen Einzelgewerkschaften den Chemiegewerkschafter im Oktober 2013 zum Kandidaten gekürt hatten, tourte er durch die Republik. Und überzeugte offensichtlich. Kritik ist nicht zu hören, Nachfragen zu seiner Kandidatenvorstellung gab es nicht.

Der gebürtige Wuppertaler stammt aus einem klassischen Arbeiterhaushalt. Er wuchs als Sohn eines Maurers und einer Putzfrau auf. »Das war schon ein ziemlich strenges Regime zu Hause«, geprägt auch von den engen finanziellen und materiellen Bedingungen. Aber er sei ohne autoritäre Erziehungsstile aufgewachsen, sagt Hoffmann in seiner Vorstellungsrede: »Dafür bin ich dankbar.« Noch bevor er 1972 seine Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann beim Chemiekonzern Hoechst begann, sei er ins Gewerkschaftshaus gegangen, um Mitglied zu werden. Das sei bereits in der Handelsschule selbstverständlich gewesen.

Im gleichen Jahr trat er auch in die SPD ein. 1972 war das Jahr des Misstrauensvotums gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt. Als Schülersprecher in der Handelsschule organisierten er und seine Mitstreiter in der Schulaula eine Live-Übertragung vom Misstrauensvotum. Die Sozialdemokraten überstanden den anschließenden Wahlkampf und erreichten mit 45,8 Prozent der Zweitstimmen das bis dahin beste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Verbundenheit mit den Sozialdemokraten zeigt Hoffmann auch an anderer Stelle. Der SPD-Politiker und spätere Bundespräsident Johannes Rau - ebenfalls Wuppertaler - habe damals in Nordrhein-Westfalen den Weg für Arbeiterkinder in die Hochschulen geöffnet, erinnert er sich. Hoffmann nutzte die Chance. Er machte sein Abitur auf dem 2. Bildungsweg und studierte mit finanzieller Unterstützung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung Wirtschaftswissenschaften an der Gesamthochschule in Wuppertal.

Sein halbes Leben hat der Diplom-Ökonom innerhalb der Gewerkschaftsstrukturen verbracht. Er arbeitete in der Hans-Böckler-Stiftung, wurde 1994 Direktor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts in Brüssel und im Mai 2003 in Prag zum Stellvertretenden Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes gewählt. Zuletzt war er Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in Nordrhein-Westfalen. »Europa liegt mir sehr am Herzen«, sagt er nach 15 Jahren in Brüssel und warnte am Montag erneut vor »europäischer Kleinstaaterei« oder gar einem Austritt aus dem Euro. Er will Europa zu einem Schwerpunktthema machen, sieht aber durchaus Defizite der deutschen Gewerkschaften: »Wir müssen europäischer werden.« Sein Ziel sind gemeinsame Sozial- und Arbeitsstandards in Europa.

Seine Zeit in Brüssel hat ihn aber noch anderes gelehrt. Während der als äußerst integrativ geltende Hoffmann im DGB die Meinungen und Interessen von acht Mitgliedsgewerkschaften austarieren muss, sind es im Europäischen Dachverband 94 Gewerkschaftsverbände aus 36 Ländern. Da ist Verhandlungsgeschick gefragt und genau das wird Hoffmann zugeschrieben. Er könne zuhören, heißt es, und analysiere, statt zu polemisieren. Hoffmann - ganz IG- BCE-Mann - setzt auf Verhandlungen und Sozialpartnerschaft. »Ich bin nicht unbedingt ein Mensch der lauten Töne, sondern diskursorientiert. Wenn es am Verhandlungstisch zu Lösungen kommt - umso besser«, sagte er der »Stuttgarter Zeitung«.

Auch gegenüber der Großen Koalition signalisiert er: Was auf den Weg gebracht wurde in Richtung einer neuen Ordnung der Arbeit, Mindestlohn, Rentenpaket, »das sind richtige und wichtige Maßnahmen, aber sie allein werden nicht ausreichen«. Nachbessern beim Mindestlohn etwa steht auf seinem Plan. Mit Hoffmann will der DGB zudem eine Mitbestimmungsoffensive starten. Es soll nicht nur über prekäre Jobs gesprochen werden, auch Besserverdiener sollen sich nach seinem Willen in den Gewerkschaften gut aufgehoben fühlen. Zugleich wirbt der Chemiegewerkschafter für ein Bündnis aus Politik und Tarifpartnern, das eine »gemeinsame Humanisierungsstrategie« entwickeln soll, damit Arbeitnehmer länger arbeiten können. Die Rente mit 63 verteidigt der neue DGB-Vorsitzende trotzdem: »Wer 45 Beitragsjahre gearbeitet hat, soll mit 63 Jahren in Rente gehen können.«

Inhaltlich sind in den kommenden vier Jahren wohl kaum Veränderungen zu erwarten. Mit Hoffmann steht ein Vertreter der wenig streitbaren IG BCE an der Spitze des Gewerkschaftsbundes. Den einen gilt das neue Gesicht des DGB als »spröde« und »farblos«, andere beschreiben Hoffmann als »Strahlemann«. Eins jedoch ist nach dem Wechsel gewiss: Die Zeiten des von seinem Vorgänger Michael Sommer immer wieder angekündigten »heißen Herbstes« sind vorbei.

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