Auf Expedition mit Major Tom

Kathrin Zinkant über ein Mahnmal des Kolonialismus am Meeresgrund, den erhebenden Anblick eines leuchtenden Objekts am Himmel und darüber, was alles möglich wäre, wenn der Mensch nicht ständig Krieg führen müsste

  • Kathrin Zinkant
  • Lesedauer: 4 Min.

Der menschliche Fortschritt kommt ohne Expeditionen nicht aus. Woran erst einmal nichts auszusetzen ist. Aber sobald sich zum Forscherdrang eine wie auch immer geartete Form der Überheblichkeit gesellt, wird es doch irgendwie schlecht.

Vor der Antilleninsel Hispaniola sind gerade angebliche Relikte einer solchen Expedition gefunden worden, es soll sich um Reste von Kolumbus’ »Santa Maria« handeln, jenem Schiff, mit welchem der mutmaßliche Entdecker des schon weithin besiedelten Kontinents hier 1492 auf Grund gelaufen war. Woraufhin die Spanier an Land gingen und die freundlichen Einwohner zu Untertanen machten, so, wie die Europäer es später eigentlich überall zu tun pflegten. Ob ein paar rostige Überbleibsel des Schiffs deshalb eher mit einem unheiligen Mahnmal des Kolonialismus als mit dem »heiligen Gral« zu vergleichen wären, damit befassen sich die Archäologen aber vielleicht später. Gestritten wird jetzt erst einmal über den Fund selbst.

Expeditionen in den Weltraum haben dagegen den Vorteil, dass sie zumindest auf absehbare Zeit keine bewohnten Territorien erreichen werden. Da kann man nicht so viel verkehrt machen - und manches vielleicht sogar richtig. Die internationale Raumstation, bislang der am weitesten von der Erde entfernte Außenposten menschlicher Zivilisation, hat sich über die Jahre der politischen Erwärmung zu einer regelrechten Kuschel-WG mit Erlebnis-Fensterblick entwickelt. Es wurde sogar positiv musiziert: Chris Hadfield, ein kanadischer Astronaut in Diensten der NASA, sang kurz vor dem Ende seiner letzten Mission die »Space Oddity« von David Bowie ein - allerdings kehrt Major Tom in Hadfields Version wohlbehalten auf die Erde zurück. Und schreibt seine Erlebnisse auf.

Gerade ist in Deutschland eine Übersetzung von Hadfields Buch erschienen. Seine »Anleitung zur Schwerelosigkeit« liest sich in weiten Teilen allerdings eher wie eine Anleitung zum Amerikanischem Traum: Du kannst alles erreichen, egal, ob du auf einer Maisfarm aufgewachsen bist oder in Bergisch Gladbach - solange du hart genug arbeitest und stets bereit bist. Und vor allem: immer gut drauf! Für solche Botschaften braucht es zwar kein Buch über die Raumfahrt, dafür reicht auch ein auf zwei Stunden gedehnter Werbespot, wie jüngst vom »Galileo«-Bildungssender ProSieben gesendet. Es ging darin um die von der Protagonistin höchstselbst produzierte Erfolgsgeschichte der Pseudosupermodel-Mama Heidi Klum. Von der sind ja alle in den USA total begeistert, weil die Frau ein komplettes »working wonder« ist, stets bereit natürlich auch. Und vor allem: immer, absolut immer gut drauf!

Aber Hadfield kann wenigstens toll singen und hat bei aller Pflichterfüllungsromantik und NASA-Beweihräucherung auch noch etwas Demut im Köcher. Denn: Es geht nicht ohne das Team, ohne die Ameisen, nicht ohne die Leute, die die Rakete aufstellen, den Kraftstoff rankarren und später auf keinem Promifoto zu sehen sein werden. Es geht deshalb auch längst nicht mehr ohne die Russen, wobei Hadfield sich auf seinem hochfrequentierten Twitter-Account leider ausschweigt über den unbeabsichtigten Eigen-Knieschuss der USA, die den mutmaßlichen politisch Verantwortlichen der russischen Raumfahrbehörde Roskosmos, Dmitri Olegowitsch Rogosin, wegen der Krim-Krise mit Sanktionen bestraft haben. Weshalb Moskau jetzt kontert und ankündigt, dass mit der Zusammenarbeit der ISS in ein paar Jahren endgültig Schluss sein soll. Und Raketenantriebe kriegen die Amis, die ihr staatliches Raumfährenprogramm komplett eingestampft haben, auch nicht mehr. Bätsch.

Soviel zum Teamgeist. Bedauerlich ist das Ganze dabei nicht zuerst für Hadfield, der von 2001 bis 2003 im russischen Sternenstädtchen mit den Kosmonautenkollegen Wodka (oder vielleicht war es doch Wasser) trank und sich somit zu den lebenden Beweisen wissenschaftlicher Versöhnlichkeit zählen darf. Durfte. Es ist schmerzlich vor allem für jene an die Erde Geketteten, denen klare Nächte bisweilen noch den erhebenden Anblick eines leuchtenden Objekts bieten, das wie aus dem Nichts kommend über den Himmel zieht, immer heller werdend, bis es schließlich alle echten Sterne überstrahlt.

Die ISS über unseren Köpfen lässt immer wieder erahnen, was Expeditionsgeist zu erreichen in der Lage wäre, wenn der Mensch nicht ständig Krieg führen müsste.

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