Resignation, Baby!

Die Sleaford Mods, zwei zornige Biertrinker aus der britischen Arbeiterklasse, gastieren im Armutsbezirk Neukölln

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie mögen gerne Musik, in der beängstigend gesunde Wonneproppen mit rosigen Wangen und butterzarten Stimmchen über frischgebackene, duftende Butterkekse und die Mysterien der aufkeimenden Liebe unter Teenagern singen und zu der man auf sattgrünen Wiesen bei güldenem Sonnenlicht und unter einem strahlend blauen Himmel per Ringelreihen freudig-erregt einer pastellfarbenen Zukunft entgegentanzen kann?

Dann sind Sie hier definitiv falsch. Seinem Sprechgesang, einer Mischung aus Keifen und Nölen, ist deutlich anzuhören, dass Jason Williamson in einer Region aufgewachsen ist, in der nicht gerade das feinste Englisch gepflegt wird, den East Midlands. Drolligerweise soll ausgerechnet die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher in demselben Kaff geboren sein wie Williamson.

Mit seinem Kompagnon Andrew Fearn zusammen bildet er das Duo Sleaford Mods. Beide leben in der Nähe der liebreizenden Stadt Nottingham (»The smell of piss is so strong, it smells like decent bacon«) und halten sich gern an Bierflaschen fest. »Sie sind hässlich. Sie sind Männer. Sie haben schreckliche Frisuren. Sie sind schlecht angezogen. Sie sehen aus, als ob sie nicht besonders gut riechen. Sie können nicht singen. Sie können nicht tanzen.« (»Berliner Zeitung«)

Fearn bedient ein Laptop, mit dem er simple, monotone Beats erstellt. Ein unnachgiebig vorwärtspolternder Bass ist zu hören. Spielzeug-Keyboards ertönen vereinzelt dazwischen. Während Williamson gereimte Gemeinheiten, Hasstextbausteine und anderes Verdrießliches und Entmutigendes ins Mikrophon hustet.

Die Sleaford Mods machen minimalistischen, dabei aber schneidend aggressiven Lo-Fi-Funk-Punk für Menschenfeinde. Dafür brauchen sie nicht viel. Drei-Akkorde-Gitarrengeschrammel überlassen sie getrost dem 20. Jahrhundert. Und obwohl es das Duo schon seit sieben Jahren gibt, sickert es im Internet und den Medien erst im Laufe des letzten Jahres langsam durch, dass hier etwas Besonderes geschieht. Dass das hier den Geist des frühen Punk atmet. Dass hier ein kleiner Rest von der guten, alten aufrichtigen Wut waltet. Dass hier zwei abgerissene Typen sich noch nicht von der um sie herum allgegenwärtigen aseptischen Edelstahl-, Plastik- und Glasfassadenwelt haben assimilieren lassen. Hier hält jemand seine Nase direkt in die Scheiße und erzählt dann allen, die es wissen oder auch nicht wissen wollen, davon, wie sehr sie stinkt.

In ihren Songs, in denen die beiden nicht mehr ganz jungen Männer mit drastischer Sprache von allgegenwärtiger Lüge und allgemeinem Verfall und Niedergang künden, wird großzügiger Gebrauch von Worten wie »Shit«, »Fuck«, »Cunt«, »Piss« oder »Cockface Bastard« gemacht. Klar: Großbritannien bzw. ganz Europa ist eine gewaltige Kloake, die Millionäre werden immer reicher, die Armen immer ärmer und die Sozialdemokraten im Stundentakt ekelerregender.

Klaus Walter gibt im Magazin »Spex« die Einschätzung des pessimistischen linken Kulturkritikers Mark Fisher wieder: »Pisse und Scheiße mache sich breit in Williamsons Reimen, als könnte die physische und psychische Gülle der von Camerons Britannien Erniedrigten nicht mehr kontrolliert werden und explodiere durch das dünne Dach der ›deodorised digital commercial propaganda‹.«

Kurz: Die zwei Männer mit ihren an den Händen festgewachsenen Bierflaschen sind tendenziell nicht einverstanden. Nicht mit dem in den letzten 35 Jahren vom entfesselten Kapitalismus hergestellten desolaten Zustand Englands, nicht mit ihren Mitmenschen, nicht mit der verblödeten Jugend, die nur noch wie hypnotisiert auf ihre Smartphones starrt, nicht mit den erbärmlichen Saftsäcken, die an der Regierung sind, nicht mit der allgemeinen Lohnentwicklung, nicht mit dem Wetter und vermutlich auch mit allem anderen nicht. Darum schleudern sie uns ihren Weltekel entgegen, während sie musikalisch den »virilen Strang des Postpunk reanimieren« (Klaus Walter).

Vielleicht sieht man sie in ihren Videos und auf Fotos auch deshalb bevorzugt gelangweilt und mit bösem Blick neben abbruchreifen Sozialbauten und öffentlichen Altkleidercontainern herumstehen oder miesepetrig in den hinteren Reihen eines leeren Busses sitzen. Was das Image der Sleaford Mods von den permanent schlechtgelaunten, herumnörgelnden Working Class Heros noch verstärkt. Keine Werbeagentur hätte sich das vermutlich so hübsch ausdenken können, diesen perfekt inszenierten Charme der Tristesse, der Trübsal, des Hässlichen. Und das ist wirklich kein Fake?

Sleaford Mods & Ill Till, »Bei Ruth«, Neukölln, Ziegrastraße 11-13, Sonntag, 18. Mai, Beginn: 21 Uhr

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