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Armut trotz Milliarden-Förderung

Jahrzehntelange Finanzspritzen der EU halfen dem Land Brandenburg wie dem gesamten Osten Deutschlands wirtschaftlich nicht auf die eigenen Beine

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Land Brandenburg beginnt zwar inzwischen, seinen 20 Milliarden Euro umfassenden Schuldenberg abzutragen. Auf finanzielle Hilfe ist es dennoch weiterhin angewiesen.

Bei sehr vielem, was der Mensch tagsüber so verrichte, sei die EU inzwischen beteiligt, sagt Brandenburgs Finanzstaatssekretärin Daniela Trochowski. Sie sagt es bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg zu den Finanzbeziehungen des Bundeslandes zur Europäischen Union. In der vergangenen Förderperiode habe das Bundesland 3,2 Milliarden Euro bezogen, in der laufenden Periode seien es immer noch 2,1 Milliarden.

25 Jahre nach der politischen Wende in der DDR steht Brandenburg keineswegs auf eigenen Beinen und ist auf Transferleistungen angewiesen. Nur etwa 60 Prozent dessen, was das Land verbraucht, kann es selbst einnehmen, die Lücke wird in jedem Jahr von EU, Bund und Länderfinanzausgleich geschlossen. Das Versiegen eines Großteils dieser Quellen ist absehbar. 2019 wird es soweit sein. Obwohl auch hinter Brandenburg vier Boomjahre liegen, obwohl die Steuereinnahmen vergleichsweise hoch sind – auch höher als ursprünglich gedacht – und obwohl die Zinsen stabil niedrig sind, konstatiert der Landesrechnungshof ein strukturelles Defizit von einer Milliarde Euro (bei einem Landeshaushalt von rund zehn Milliarden Euro jährlich). Wenn von Bund und EU zweieinhalb Jahrzehnte lang Abermilliarden ins Land geflossen sind und Brandenburg gleichzeitig fast 20 Milliarden Euro Schulden angehäuft hat, aber dennoch »am Tropf hängt«, dann ist das ein »sehr unbefriedigendes Ergebnis«, sagt die Staatssekretärin. Auch Massenarbeitslosigkeit, Niedriglöhne und Wirtschaftsflucht der jungen Generation seien durch die Finanzspritzen nicht verhindert worden.

Mit Blick auf die Investitionspolitik des vergangenen Vierteljahrhunderts stellt Trochowski fest, es habe »vieles nicht gefruchtet«. Ostdeutschland werde sich wohl darauf einstellen müssen, auch in Zukunft Transferleistungen zu benötigen. »Auch 2020 werden wir nicht auf Augenhöhe mit dem Westen stehen, auch 2030 wohl nicht«, äußerte die Staatssekretärin, die im Landesvorstand der Linkspartei sitzt. Die nach 1990 in Ostdeutschland entstandene »Billigwirtschaft« habe das Ruder nicht herumreißen können. Offenbar werde man sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es auf unabsehbare Zeit »Regionen in Deutschland gibt, die schwächer sind«. Daher sei der Finanzausgleich beizubehalten, die Solidarität müsse gestärkt werden.

Unter Sparzwang kürze die Politik gewöhnlich zuerst die Sozialausgaben, anstatt die Einnahmen zu verbessern, bedauert Trochowski. Mit Steuern auf Vermögen und höheren Steuern auf große Einkommen »hätten wir mehr Einnahmen«. Gerade die gewaltigen Vermögen, die nach Vermehrung streben, seien eine Ursache der Finanzkrise gewesen. Die LINKE sei sich jahrelang mit der SPD darin einig gewesen, dass eine Bundesratsinitiative zur Widerbelebung der Vermögenssteuer eingebracht werden sollte. Immer wieder habe die SPD das mit Rücksicht auf anstehende Wahlen verzögert. Nun liege ein Brief der SPD-Spitze vor, in dem das Vorhaben mindestens bis 2017 auf Eis gelegt werden sollte.
Brandenburgs Europaminister Ralf Christoffers (LINKE) weiß: Beinahe fantastische Summen pumpte Brüssel nach Brandenburg. Sozialfonds, Strukturfonds, Agrarfonds waren immer reichlich gefüllt. »Ohne die EU-Unterstützung wäre eine gezielte Strukturpolitik bei uns überhaupt nicht möglich«, so Christoffers.
Dennoch ist Armut in Brandenburg ein wachsendes Problem. Mit über einem Viertel der Kinder, die inzwischen auf dem Niveau von Sozialhilfe leben müssen und einer zwar kleinen, aber wachsenden Schicht armer Senioren teilt Brandenburg das Schicksal ganz Ostdeutschlands. »Die Gefahr von Altersarmut steigt, da die Renten immer kleiner werden«, erklärt Roswitha Orban, Landesgeschäftsführerin der Volkssolidarität.
In einem 1907 von Heinrich Eildermann gedichteten Lied der Arbeiterjugend heißt es: »Die Arbeit kann uns lehren, sie lehrte uns die Kraft, den Reichtum zu vermehren, der unsere Armut schafft.« Es ist ein ökonomisches Gesetz, dass im Kapitalismus wachsende Armut eine Funktion des sich akkumulierenden Reichtums ist. Die Vertreter der rot-roten Regierung Brandenburgs weisen aber darauf hin, dass sich die deprimierende Entwicklung im Land ohne die Hilfe der EU noch beschleunigt hätte. Man könne die zunehmende Armut nicht der Europäischen Union anlasten. Fällig seien sozialpolitische Korrekturen in den Mitgliedsländern.

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