Linke Arroganz

Über vokabularische Revolutionen beim Thema Geschlecht und den Widerstand dagegen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.

In letzter Zeit sorgt ein «Leitfaden» für geschlechtersensible Sprache für Diskussionen. Verfasst wurde er an der Berliner Humboldt-Universität (HU), einem Ort mit Tradition: Hier wurde 1997 der erste deutsche Hauptfachstudiengang «Geschlechterstudien» eröffnet, und hier hat nun eine «AG Feministisch Sprachhandeln» um Linguistik-Prof Lann Hornscheidt «Anregungen zum antidiskriminierenden Sprachhandeln» erarbeitet.

Auf der Hälfte ihrer über 50 Seiten enthält die Broschüre Vorschläge für diverse Schreibweisen von auf Menschen bezogenen Substantiven und Pronomen sowie Erläuterungen dazu. Es geht darum, stets zu reflektieren, welche Begriffe wen ausschließen. Der Begriff «Fußballweltmeisterschaft» etwa klingt universal, bezieht sich aber immer nur auf Männer ohne Behinderung (beziehungsweise beHinderung, wie es in der Broschüre heißt). Selbst bei «Frauen-Fußballweltmeisterschaft» geht es nicht einfach um Frauen, sondern nur um Frauen ohne Behinderung. Im Leitfaden wird auf Überblicksstudien verwiesen, wonach jegliche Wahrnehmungsforschung zeige, dass wer ein männliches Standardsubstantiv hört, das vermeintlich universal ist, sich immer zuerst einen Mann vorstellt. Andere Geschlechtsidentitäten werden also tendenziell unsichtbar gemacht – und somit eventuell auch männliche Privilegien.

Ein besonderes Anliegen ist darüber hinaus, geschlechtliche Eindeutigkeiten vermeiden zu können. Hornscheidt selbst will weder als Frau noch als Mann angesprochen werden. Einigen HU-Studierenden geht es genauso. In dem Sprachleitfaden werden nun Wortbildungen vorgestellt wie: Student_in, Stu_dentin, Stud_entin, Studierx, Studier*. Sie sollen sich zu verschiedenen Zwecken unterschiedlich gut eignen.
Der Broschüre wurde ein beachtliches Presse-Echo zuteil: Die «Berliner Zeitung» berichtete wohlwollend, Spiegel Online«, »dpa« und »taz.de« ließen sich das Ganze in Interviews erklären; »Tagesspiegel« und »Zeit« hingegen machten sich über das Projekt lustig. Ein geradezu gehässiger Text erschien dann am 10. Mai in »nd«. Malte Daniljuk verdammte die Initiative in Bausch und Bogen, allerdings ohne sie überhaupt darzustellen. Die Kritisierten kommen nur im Modus der Diffamierung und Beleidigung vor: »Extrem irrationale Enthusiasten« bedienten sich »willkürlich festgelegter Sprachnormen« und »moralischer Appelle« (beides negiert, dass die Kritisierten mit ihren Vorschlägen einen Vernunftanspruch verbinden) und bildeten eine »kleine Subkultur«.

Für jemanden, der das Ziel der Bekämpfung von Diskriminierung teilt, ist der Autor seltsam rabiat. Das dürfte daran liegen, dass er diesen Sprachleitfaden in einer bestimmten Tradition verortet: Daniljuk verweist auf die Entstehung des Binnen-I (wie in »StudentInnen«) bei »Medienaktivisten im süddeutschen Raum und der Schweiz zu Anfang der 1980er«. Doch es ist ein falscher Zusammenhang. Denn beim Binnen-I ging es um die Sichtbarmachung der Frauen, weil die im Deutschen erst mal nicht mitgedacht würden. Da ist Daniljuks Kritik: Das hilft den Frauen nicht, solange die gesellschaftlichen Strukturen nicht frauenfreundlicher sind.

Beim aktuellen Fall liegt die relativ junge Queer Theory zu Grunde. Sie lehnt die Zwangskategorisierung der Menschheit in zwei Geschlechter ab und will eine Gesellschaft, in der die Kategorie Geschlecht (fast) keine soziale Bedeutung mehr hat. Diese Intervention will also unser Denken grundsätzlich verändern und beschädigt sozusagen gerne mit einer vokabularischen Revolution unseren gewohnten Wortschatz. So ist im Leitfaden zu lesen: »Sprache spiegelt nicht einfach etwas wider, das sowieso da ist, sondern ist ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Normen und Situationen.«

Hinter Daniljuks Kritik steht die vulgärmaterialistische Ansicht, dass Revolutionen nicht in der Sprache und über Leitfäden stattfänden, sondern auf der Straße und über Gesetze, also durch die Übernahme der Macht im Staat, auf die eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung folgt. Da ist etwas Wahres dran, es wird aber die kulturelle Seite vernachlässigt. So macht Lann Hornscheidt »keine Trennung zwischen einer gesellschaftlichen und einer sprachlichen Veränderung« und glaubt, »dass Sprachpolitik immer ein ganz wichtiger Teil von politischen Bewegungen ist und war«, wie in einem Interview von 2012 in der Monatszeitschrift »analyse & kritik« zu lesen ist.

Die gängigen Marxismen (verstanden als politische Strömungen) stecken in einer Dauerkrise – ihr Traktieren der Masse der Menschen mit dem Begriff »Klasse« ist eine eher erfolglose politische Sprachhandlung. Queer Theory erschöpft sich aber nicht in Sprachpolitik. In ihrem Rahmen werden, vom Thema Geschlecht kommend, sowohl Unterdrückungsverhältnisse analysiert als auch eine Revolutionierung des Alltags durch die Behandlung alternativer kollektiver Lebensentwürfe versucht. Da sollte ein relativ neuer Ansatz revolutionären Denkens wie die Queer Theory mit ihrem Kampf gegen den Diskurs der menschlichen Zweigeschlechtlichkeit zumindest ernst genommen werden. www.feministisch-sprachhandeln.org

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