Hilfe vom fliegenden Auge

Der Traghubschrauber der Uni Koblenz kann Landwirten wichtige Einblicke geben

  • Lesedauer: 4 Min.
Am Remagener Campus der Hochschule Koblenz wurde ein spezielles Fluggerät entwickelt - ein Tragschrauber für Lufterkundungen. Zum Einsatz kommt er in der Landwirtschaft und im Naturschutz.

Remagen. Wie gedeiht das Getreide und wo muss gedüngt werden? Welche Baumarten stehen wo, und wo erobert sich die Natur Raum zurück? Wenn ein Überblick von ganz oben, kombiniert mit besonderen Daten, gefragt ist, klingelt bei Jens Bongartz von der Hochschule Koblenz (Rheinland-Pfalz) das Telefon. Sein Team bestückt dann ein ungewöhnliches Fluggerät mit speziellen Kameras: »Wir sind die erste Hochschule in Deutschland, die einen Tragschrauber hat«, erzählt er. Noch steckt die Technik in den Kinderschuhen, langfristig könnte sie aber auch zum Hochwasserschutz beitragen. Bei einem Traghubschrauber wird der Rotor nicht durch ein Triebwerk, sondern passiv durch den Fahrtwind in Drehung versetzt. Der Auftrieb ergibt sich dabei durch den Widerstand des sich drehenden Rotorblattes bei nach hinten geneigter Rotorfläche.

Die Bilder, die der Hubschrauber macht, geben etwa Hinweise, ob eine Renaturierung erfolgreich ist oder wo ein Landwirt mehr düngen muss. Gerade war Bongartz mit seiner Kameratechnik in Südafrika im Einsatz. »Die Farm hat eine Fläche von 37 200 Hektar, das kann man nicht alles abfahren«, erzählt er. Also flog er mit einer Hyperspektralkamera an Bord über das Gebiet. Das 60 000 Euro teure Gerät macht auch Aufnahmen in dem für das menschliche Auge nicht sichtbaren Infrarotbereich. »Pflanzen reflektieren in dem langwelligen Bereich viermal so stark«, sagt Bongartz. Die Bilder werden so aufgearbeitet, dass der Landwirt sehen kann, an welcher Stelle seine Pflanzen gedeihen, wo Dünger oder Wasser notwendig sind oder wo es Anzeichen für einen Schädlingsbefall gibt. »Je roter die Fläche auf der Karte ist, desto höher ist die Vitalität der Pflanze«, sagt Bongartz. Wasser und Dünger sind in Südafrika teuer - wenn sie nur dort eingesetzt werden, wo sie nötig sind, spart der Farmer trotz der Flugkosten Geld.

Mehr um Ökologie denn um Ökonomie geht es bei der Überwachung des Naturschutz-Großprojekts »Obere Ahr-Hocheifel« im Kreis Ahrweiler. Hier überfliegt der Pilot Teile des 3300 Hektar großen Gebiets in 300 Metern Höhe. Auf den Fotos der Spiegelreflexkamera ist etwa zu sehen, dass der Hochsitz neben dem See umgefallen ist. »Ein Experte kann auf den Bildern auch die Baumarten erkennen«, sagt Bongartz.

»Die luftgestützte Bilddokumentation ist eine große Chance für uns, um die Effekte der Maßnahmen mit außergewöhnlicher Präzision überprüfen und dokumentieren zu können«, sagt Projektleiter Jochen Mölle vom Kreis Ahrweiler. Er will mit dem Vorher-Nachher-Vergleich beispielsweise sehen, ob sich natürlicher Auenwald an den Bächen entwickelt, nachdem künstliche Steinbefestigungen entfernt wurden. Bis 2021 läuft die Finanzierung des Projekts an der Oberahr und ihren Zuflüssen - viel Zeit, um die Renaturierung zu dokumentieren.

Pilot Egon Joisten sieht während der Flüge meistens wenig von der Natur, denn er orientiert sich vor allem an weißen Punkten auf einem Bildschirm, die er anfliegen soll. Nachdem Bongartz die Kamera durch das Loch im Fußboden geschoben hat, die Festplatte auf dem Beifahrersitz montiert ist und alle Kabel verlegt sind, kann es losgehen. Überfliegt Joisten einen der weißen Punkte auf dem Bildschirm, löst die Kamera via GPS-Signal aus. Treffer - der Punkt auf dem Bildschirm wird grün. »Das ist ganz einfach«, sagt Joisten, Chef des Tragschrauberservices am Flughafen Dahlemer Binz. 80 000 Euro kostet laut Bongartz ein neuer Tragschrauber, Kameras und Sensoren nicht eingerechnet. Seit Anfang 2012 steht das weiße Gerät mit großen Fenstern und langem Rotor auf dem Dach der Arbeitsgruppe zur Verfügung. Das Land Rheinland-Pfalz gab eine Anschubfinanzierung in Höhe von einer halben Million Euro für das »Anwendungszentrum für multimodale und luftgestützte Sensorik«, das von der Hochschule Koblenz und vom Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik gegründet wurde.

»Der Tragschrauber ist windunempfindlich, hat einen kurzen Landeweg und ist sehr kosteneffizient«, lobt Bongartz sein »Arbeitspferd«, das der 43-Jährige ohne Probleme alleine vom Flugfeld schieben kann. Die Einsatzmöglichkeiten für seine Sensoren in der Luft sieht er vor allem im Bereich Natur, Boden und Wasser. dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal