Lasst Bauten sprechen

Im Kino: »Kathedralen der Kultur« von Wim Wenders und anderen

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Einen Architekturfilm mit diversen renommierten Regisseuren in 3-D-Technik über große Bauwerke zu drehen, die Funktion und Ästhetik in je einmaliger Weise vereinen und damit einen individuellen Beitrag zur Lebenswelt der Menschen leisten, die sie besuchen, bespielen und bestaunen - das ist an und für sich eine großartige Idee. Weil das Konzept zu diesem Episodenfilm von Wim Wenders stammt und von seiner Berliner Produktionsfirma koordiniert wurde, müssen die Bauten nun aber - sehr romantisch, sehr deutsch, die Idee! - eine Seele haben und diese noch dazu mit »eigener« Stimme artikulieren. Gestatten, ich bin die Berliner Philharmonie, wenn ich Sie kurz ansprechen dürfte? Eine unzulässige Vermenschlichung, die einfach fehl am Platze wirkt - und wer hätte gedacht, dass Meret Becker eine derart säuselnde Philharmonie abgeben würde?

»Kathedralen der Kultur« war mal als Mehrteiler für’s 3-D-Fernsehen konzipiert. In der Kinofassung besteht der Film aus zweimal drei oder, je nach Kino, gleich aus sechs etwa halbstündigen Episoden. (Weitere Teile waren offenbar geplant, darunter einer von »Man on Wire«-Regisseur James Marsh, den man gern gesehen hätte.) Die Berliner Philharmonie hat Wenders selbst mit der Kamera besucht, Sir Simon Rattle bei Proben und Auftritt begleitet und neben der Becker’schen Gebäudestimme noch eine Büste des Architekten Hans Sharoun zu zigarrerauchendem Leben erweckt. Auch der Däne Michael Madsen unterlegt seine Episode über ein Hochsicherheitsgefängnis im norwegischen Halden mit einem Text der Gefängnispsychologin, der sich auf die im Zusammenhang mit Zwangsunterbringung hinter Gittern nun wirklich unerträglich neckische Ich-Erzählung aus Bauwerkssicht einlässt.

Spielfilmveteran Robert Redford vermeidet in seinem Segment über das Salk Institute für naturwissenschaftliche Forschung in La Jolla, Kalifornien, die peinliche Seelenstimme. Statt selbst im Namen des Gebäudes zu dichten, gibt er Bauherrn (Jonas Salk) und Architekt (Louis I. Kahn) der Betonanlage mit Pazifikblick lieber selbst das Wort. Schade nur, dass Redford für den Wechsel zwischen schwarz-weißem Archivmaterial und den eigenen, sonnenhellen Aufnahmen die überblendungsverliebte Form einer Fernsehdokumentation wählte und damit auf ästhetischer Ebene viel verschenkte. Vom kleisterartig über (nicht nur!) diese Episode gegossenen Soundtrack ganz zu schweigen.

Margreth Olin interessieren am Opernhaus Oslo eher die Menschen, die die schiefen Ebenen seiner rampenartig mitten in einem notorischen Osloer Problemviertel ans Ufer des Fjords gebauten Dächer erkunden, sowie die Tänzer und Sänger, die in diesem Opernhaus auftreten, als die Architektur des Gebäudes selbst. Und der brasilianische Videokünstler Karim Aïnouz bemüht sich redlich, aber mit nur bedingtem Erfolg, im und um das Pariser Kulturzentrum Centre Pompidou noch einmal erfahrbar zu machen, wie fremdartig und nicht von dieser Welt - jedenfalls nicht von der Welt der Gründerzeitbauten rundherum - dieser heutige Besuchermagnet bei seiner Entstehung Mitte der 70er Jahre wirkte.

Das einzige, einsame Meisterwerk in dieser Sammlung hübscher Kuriositäten aber trug der kürzlich überraschend verstorbene Österreicher Michael Glawogger bei: Seine Episode über die Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg hat nicht nur den schönsten Weg gefunden, die 3-D-Technologie für räumliches Erfahren zu nutzen. Sie ist auch die einzige, die tatsächlich den Geist des Ortes selber sprechen lässt. Lauter eingelesene Zitate aus den Büchern sind es, die hier lagern - plus ein kurzer Text des Filmemachers selbst. Dazu gibt es hypnotische Bilder von endlosen Gängen und noch endloseren Mengen Büchern, und Kamerafahrten zu Bibliothekarinnen an Tischchen und Karteikästen, viele von ihnen längst jenseits des Rentenalters, die die Bücher erfassen, stempeln, abstauben - in einem Labyrinth voller zerfallender Folianten und eines nie von der digitalen Gegenwart berührten, noch voll analogen Ordnungssystems. Es ist Glawoggers letztes selbst fertiggestelltes Werk und ein ganz wunderbares Vermächtnis.

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