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Kein Raum für Utopien

Dem Theater »Vierte Welt« droht die Schließung

  • Lesedauer: 3 Min.
Dirk Cieslak gründete 1989 die Schauspielformation Lubricat. Erst in Bremen, später in Hamburg und ab 1993 in Berlin produzierten die Künstler mehrere Theaterstücke. Vor vier Jahren bauten sie den Veranstaltungsort Vierte Welt im Zentrum Kreuzberg am Kottbusser Tor mit auf. Mit Cieslak sprach Robert D. Meyer.

nd: Das Land Berlin lehnt sowohl die Förderung des Kreuzberger Veranstaltungsortes »Vierte Welt« als auch der damit verbundenen Schauspielformation Lubricat ab. Wie überraschend kam diese Entscheidung für Sie?
Cieslak: Die Entscheidung hat uns unerwartet getroffen, da die »Vierte Welt« in den letzten zwei Jahren in jeder Hinsicht ein klar sichtbares Profil entwickelt hat.

Die Jury wirft dem Projekt vor, Sie hätten nicht »ausreichend mit dem Umfeld interagiert«. Bedeutet dies, dass Ihnen das unmittelbare Kreuzberger Umfeld bei der Arbeit wirklich egal war?
Wir verstehen uns nicht als Kolonisatoren des sozialen Raums - sprich der Bewohner - des Zentrums Kreuzberg. Wir machen auch keine Kiezkultur. Die Jury bedient den Reflex: Denke ich ans Zentrum Kreuzberg, denke ich an soziale Probleme wie Drogen, Kriminalität, Verwahrlosung. Und als Künstler kommt mir dann reflexartig die Aufgabe zu, sozial integrierend zu wirken. Unsere Türen stehen offen, und wir pflegen hier eine gute Nachbarschaft. Angesichts unseres von derselben Jury 2013 geförderten Programms »DER BLOCK«, das vom Senat in diesem Jahr zusätzlich mit einer Wiederaufnahmeförderung versehen ist und das sich nur mit den Zentrum Kreuzberg beschäftigt, ist dieser Vorwurf gänzlich unverständlich.

Zudem erklärte die Jury, die Qualität Ihrer Arbeiten sei sehr unterschiedlich. Kann solch ein Kriterium überhaupt objektiv sein, wenn es um Kunst geht?
Objektivität zu bestimmen, ist in diesem Feld nicht möglich. Unser Punkt ist, dass die Jury in keinem Satz den Versuch unternimmt, unsere Arbeit kritisch in Bezug auf unser eigenes innovatives Selbstverständnis zu reflektieren, noch die Kunst- oder Kulturpolitische Bedeutung dieses Ortes in der kulturellen Landschaft für die Freie Szene kritisiert.

In einem offenen Brief erklären Projektvertreter, die »Vierte Welt« besitze im Vergleich zu anderen Spielstätten ein Alleinstellungsmerkmal. Worin besteht dieses?
Alternativ zu den kurzzeitigen Verwertungszwängen, denen die sogenannte Projektarbeit unterworfen ist, neue Formen bzw. eine neue Praxis für das freie Theater zu entwickeln. Das betrifft vor allem auch eine kollaborative Praxis des Austausches zwischen den in der »Vierten Welt« agierenden Gruppen. Wir sind wie kein anderer ein explizit politischer Ort, an dem sich kritische Philosophie, Politik, Aktivismus und Theater bzw. Performance gegenseitig produktiv machen, in dem wir hier so etwas wie »öffentliches Denken« organisieren.

Die Ablehnung betrifft einerseits die »Vierte Welt« als Standort, andererseits auch die Schauspielformation Lubricat. Kann es für beide Projekte trotz der Ablehnung irgendwie weitergehen?
Lubricat hat sich mit der »Vierten Welt« weit über das Rahmenverständnis einer Gruppe hinaus neu erfunden, neu definiert und sich dabei in gewisser Weise zum Verschwinden gebracht. Dabei wurde ein Ort für die Freie Szene geschaffen, an dem verschiedenste Künstler und Akteure kollaborativ zusammentreffen. Eine reine infrastrukturelle Förderung des Raumes - ohne Projektmittel - wäre in Anbetracht der jahrelangen konzeptionellen und realen Aufbauarbeit durch Lubricat absurd. Ohne Förderung geht es nicht weiter.

Wie werden Sie gegen die drohende Schließung vorgehen? Sind Proteste und Aktionen geplant, um die »Vierte Welt« zu retten?
Ja, wir werden die Öffentlichkeit informieren und unsere Mitstreiter aus dem Bereich Akademie, Politik und Kunst mobilisieren. Wir werden bei Politikern aller Fraktionen des Abgeordnetenhauses sowie Vertreter des Bezirks um Unterstützung nachsuchen, und wir werden das Gespräch mit dem Senat und dem neuen Staatssekretär Tim Renner suchen.

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