Werbung

Laut gebrüllt, Löwe!

Jürgen Rose über die Forderung nach einem Staatsvertrag mit den »Bürgern in Uniform«

  • Jürgen Rose
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein stummer Kaufmann ist wie ein zahnloser Löwe, lautet eine alte Weisheit der Werbebranche. In diesem Sinne muss man dem Deutschen Bundeswehrverband (DBwV) konzedieren: Laut gebrüllt, Löwe! In ihrem Papier »Tiefenagenda ›Bundeswehr 2020‹« legt die Quasigewerkschaft der Bundeswehrangehörigen einen extensiven Forderungskatalog all dessen vor, was ihrer Auffassung nach notwendig erscheint, um die Attraktivität der Streitkräfte und deren Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu verbessern. Der Interessenverband konstatiert, dass »gerade nach der Aussetzung der Wehrpflicht die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft erhalten und vertieft werden muss«, weil die dadurch »weniger gewordenen Berührungspunkte zwischen Bundeswehr und Gesellschaft vermehrt zu Unverständnis und Unkenntnis über die Soldatinnen und Soldaten als ›Staatsbürger in Uniform‹ führen«. Neben ausufernden finanziellen und sozialpolitischen Verbesserungsmaßnahmen drängt der DBwV deshalb darauf, dass die Bundesregierung, die Bundesländer und alle Teile der Gesellschaft unter dem Rubrum »Keine Angst vor Uniformen!« einen Staatsvertrag abschließen, um die SoldatInnen im öffentlichen Leben präsent zu halten. Als Ziel des Ganzen wird deklariert, »die Streitkräfte in der Demokratie, ihre sicherheitspolitischen Grundlagen und ihre Rolle in der Mitte der Gesellschaft erklären« zu wollen.

Derlei militär- und sozialpolitischer Aktionismus muss selbstredend in einer Gesellschaft, die in ihrer überwältigenden Mehrheit von Konfliktregelung mit militärischen Gewaltmitteln wenig bis gar nichts hält, auf erhebliche Vorbehalte stoßen. Diese betreffen angesichts vielfältiger sozialpolitischer Defizite auf weiten Feldern hierzulande erstens die Verteilung stets knapper finanzieller Ressourcen - unter diesem Aspekt kann es auf gar keinen Fall angehen, einen nach wie vor erheblich überdimensionierten Militärapparat wie die Bundeswehr üppigst zu alimentieren. Der zweite, vielleicht noch wichtigere Einwand betrifft die mit dem Staatsvertrag zwangsläufig verbundene und weiter vorangetriebene Militarisierung der Gesellschaft. Zu platt stellt sich die schlichte Forderung nach mehr Akzeptanz und Anteilnahme für die SoldatInnen dar.

Was demgegenüber tatsächlich erforderlich wäre, ist der offene, demokratische Diskurs über den Auftrag und die Rolle der Bundeswehr. Insofern würde es von einer zutiefst undemokratischen Haltung zeugen, die Diskussion mit Soldaten grundsätzlich zu verweigern, denn wie hatte schon der englische Liberale John Stuart Mill in seinem Traktat »Über die Freiheit« zutreffend konstatiert: »Jedes Unterbinden einer Erörterung ist die Anmaßung von Unfehlbarkeit.« In diesem Sinne wäre zu postulieren: Rein mit den SoldatInnen in die Gesellschaft - nichts kann mehr zur Entmystifizierung des Militärs und zur Demilitarisierung des Denkens beitragen.

Wenn nun aber die Bundeswehr und ihr Interessenverband durchaus zu Recht die Debatte über die deutsche Sicherheitspolitik und die Streitkräfte einfordern, dann muss dieses Postulat freilich vice versa auch für letztere selbst gelten. Ein so einseitiger Staatsvertrag, wie ihn der DBwV vorschlägt, wird diesem Gebot nicht im mindesten gerecht. Wenn überhaupt, dann muss ein solcher Vertrag auf Gegenseitigkeit beruhen. Das aber bedeutet zwingend: Nicht nur SoldatInnen in die Öffentlichkeit oder Jugendoffiziere in die Schulen, sondern auch Vertreter des »Darmstädter Signals« und der Friedensbewegung hinein in die Kasernen! Denn wie hatte Mill gemahnt: »Alle Versuche des Staates, den Entschlüssen seiner Bürger über strittige Fragen eine einseitige Richtung zu geben, sind von Übel.«

Was den Diskurs angeht, hat die Bundeswehr erheblichen Nachholbedarf. Bis auf den heutigen Tag verweigert sie die Debatte mit kritischen SoldatInnen und der Friedensbewegung. Die Angst, im Falle des Falles doch nur über die schlechteren Argumente zu verfügen, scheint sehr ausgeprägt in den Reihen unserer sich sonst so tapfer gerierenden Vaterlandsverteidiger. So ganz traut die Bundeswehrführung ihren fleckgetarnten Pappenheimern offenbar nicht.

Warum also nicht eine diskursive Zweibahnstraße bauen? Soll heißen: Die Bundeswehr macht ihre Kasernentore auf und die Zivilgesellschaft lässt sich auf den Dialog mit den »StaatsbürgerInnen in Uniform« ein - und dann wird diskutiert, offen, heftig, kontrovers, im besten Sinne demokratischer Streitkultur.

Jürgen Rose war Oberstleutnant der Bundeswehr und ist im Vorstand
des »Darmstädter Signals«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal