Ein Dreierbund, der keine neue Sowjetunion sein will

Russland, Kasachstan und Belarus besiegeln Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion zum 1. Januar 2015

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
In Astana, der Hauptstadt Kasachstans, wurde am Donnerstag der Vertrag über die Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion unterzeichnet.

Drei ältere Herren lächelten einander freundschaftlich an und waren offenbar höchst zufrieden damit, was sie gerade vollbracht hatten. Sogar kritische Medien lobten den Vertrag, den Gastgeber Nursultan Nasarbajew und seine Präsidentenkollegen aus Russland und Belarus - Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko - am Donnerstag in Kasachstans Hauptstadt Astana unterzeichneten, als »historisch«. Es geht um die Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), die zum 1. Januar 2015 ihre Arbeit aufnehmen soll. Ein Prestigeprojekt, mit dem Moskau die wirtschaftliche Reintegration ehemaliger Sowjetrepubliken auf ein qualitativ neues Niveau heben will. Die Organisation lasse die staatliche Unabhängigkeit der Mitgliedsstaaten allerdings unberührt, betonte Nasarbajew.

Das Abkommen regelt Modalitäten einer abgestimmten Energie-, Industrie- Verkehrs- und Agrarpolitik, die dem freien Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften ermöglichen soll. Damit entstehen ein neues wirtschaftliches Schwerkraftzentrum und ein am europäischen Vorbild orientierter Binnenmarkt mit 170 Millionen Menschen. »Unsere Union verfügt über enorme Vorräte an Naturressourcen, darunter Energieressourcen. Auf sie entfallen ein Fünftel der Weltvorräte an Gas und fast 15 Prozent an Erdöl«, sagte Wladimir Putin in Astana.

Die erste Stufe des Projekts - eine Zollunion - war schon 2010 in Kraft getreten. 2012 wurde ein einheitlicher Wirtschaftsraum geschaffen. Auch die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Kirgistan wollen in Kürze der Eurasischen Wirtschaftsunion beitreten. Die Union soll darüber hinaus auch Staaten offen stehen, die nicht der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS angehören. Iran hat bereits Interesse bekundet, Kenner der Materie schließen in einer längeren Perspektive ein Assoziierungsabkommen mit der Islamischen Republik nicht aus.

Die EAWU macht aber auch den Weg zu vertiefter Zusammenarbeit mit den international nicht anerkannten Spaltprodukten prowestlicher Republiken frei: mit Georgiens abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien, den Separatisten in der Moldauischen Dnjestr-Republik (Transnistrien) und der zu Aserbaidshan gehörenden, von Armeniern besiedelten Region Berg-Karabach. Mittels der EAWU, so vermuten Beobachter in Russland, könne Moskau diese Gebiete auch ohne formellen Anschluss faktisch integrieren. Und dafür könnte der Westen Russland schwerlich wegen Verstoßes gegen das Völkerrecht anklagen. Einerseits.

Andererseits dürfte dadurch der Zerfall der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) beschleunigt werden. Doch die stellt sich seit geraumer Zeit ohnehin nur als Instrument zur »zivilen Scheidung« der einstigen Bruderrepubliken dar. Projekte wie die Eurasische Wirtschaftsunion, an die ihre Mitglieder - so wie in der Europäischen Union - einen Teil ihrer Souveränitätsrechte abtreten, hätten in der GUS keine Chance, sagte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow, der dafür zu viele Mitglieder mit zu vielen konkurrierenden Interessen verantwortlich machte.

Wegen konkurrierender Interessen schleppten sich allerdings auch die Verhandlungen zur EAWU-Gründung über mehrere Jahre hin. Erst in letzter Minute, gestand Uschakow gegenüber der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti sei ein Kompromiss gefunden worden.

Der Weg sei »lang und schwierig« gewesen, ein paar Wanderer seien »auf der Strecke geblieben«, sagte auch der belarussische Präsident Lukaschenko in Astana und meinte vor allem die Ukraine. Früher oder später werde die Führung in Kiew aber begreifen, »wo ihr wahres Glück liegt«. Ausdrücklich wies er den Gedanken zurück, dass es um die Wiederauferstehung der Sowjetunion gehe.

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