nd-aktuell.de / 31.05.2014 / Wissen / Seite 27

Tropen auf Wanderschaft

Mit der Klimaerwärmung kommen tropische Wirbelstürme zunehmend auch in gemäßigtere Breiten. Die wirtschaftlichen Folgen sind immens.

Michael Lenz

Mit königlichen Pflugzeremonien prophezeien Brahmanen in den buddhistischen Monarchien Südostasiens zum Beginn der Regenzeit Wetter und Ernten. Als Medium dienen Ochsen aus den Ställen der Könige. Die Vorhersagen hängen davon ab, was die gehörnten Wetterfrösche fressen und wie viel sie trinken. In Thailand ist das Resultat für dieses Jahr nicht so ermutigend: Es wird nicht genug Wasser geben. Die königlichen Ochsen im benachbarten Kambodscha waren optimistischer: Die Ernte von Reis, Bohnen und Mais wird ordentlich ausfallen.

Bei den wissenschaftlichen Prognosen sieht es für die Wetterverhältnisse für Asien und die tropischen Regionen kurz- wie langfristig prekärer aus. Tropische Stürme werden häufiger und intensiver; Regionen, die bislang »nur« von den Ausläufern von Sturmmonstern wie Haiyan betroffen waren, können die volle Wucht abbekommen; zudem droht in diesem Jahr ein schwerer El Niño.

Der bahnbrechenden Studie eines Wissenschaftlerteams um den amerikanischen Forscher James Kossin zufolge verlagern sich schwere tropische Stürme zunehmend in Richtung der Pole. Pro Jahrzehnt wandern die Zonen der Maximalintensität der je nach Weltregion Taifun, Zyklon oder Hurrikan genannten Stürme auf der Nordhalbkugel um 53 Kilometer Richtung Nordpol und auf der Südhalbkugel um 62 Kilometer südwärts, heißt es im Fachblatt »Nature« (Bd. 509, S. 349). »Durch die Bewegung der Zyklone hin zu höheren Breitengraden kann sich die Gefahr für Regionen näher am Äquator verringern, während Bevölkerungen und Infrastruktur in Richtung der Pole einem höheren Risiko ausgesetzt sind«, sagt Kossin.

Die Polwärtsbewegung ist regional unterschiedlich ausgeprägt. Im Nordatlantik und Ostpazifik ist sie geringer als im südlichen Pazifik und im Indischen Ozean. Gleichwohl sprächen die Daten für ein »globales Phänomen«, betonen die Forscher, die für ihre Arbeit Satellitendaten der letzten 30 Jahre ausgewertet haben. Zwei Ursachen dafür glauben die Experten ausgemacht zu haben: Scherwinde und die Oberflächentemperatur der Meere.

Starke vertikale Scherwinde verhindern die Bildung von Zyklonen, in dem sie feuchte Luft und Wolken zerstreuen. In Klimamodellen konnte Kossin zeigen, dass die Scherwinde in den Tropen zugenommen, in den angrenzenden Gebieten aber abgenommen haben. Zugleich erwärmt der Klimawandel die Meere. In der Folge entstehen neue maritime Zonen mit Oberflächenwassertemperaturen von 26 Grad, der Mindesttemperatur für die Geburt eines Zyklons.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Kossin sind keine sturmwolkengraue Theorie, auch wenn vieles noch im akademischen Dunkel liegt. Für die Menschen in vielen Teilen Asiens sind diese meteorologischen Veränderungen bereits erschreckende Realität. Zum Beispiel für die Landwirte vom Volk der Intha am Inle-See im von Bergen umgebenen Hochland des Shan-Staates im Osten Myanmars. Der Inle-See ist ein fruchtbares Gewässer. Im Wortsinne. Denn auf dem sehr flachen See wurden riesige Tomatenplantagen angelegt. In den letzten Jahren mussten die Bauern, die ganz Myanmar mit Tomaten versorgen, jedoch schwere Verluste durch Stürme hinnehmen: »Seit gut sechs Jahren kommt es immer wieder zu Tornados«, sagt Kyaw Swar, Direktor des Intha-Heritage-Projekts auf dem See, das sich ökologischer Landwirtschaft und dem Erhalt der Kultur der Intha, der Menschen vom Inle-See, verschrieben hat. »Das gab es früher nicht«, sagt Kyaw Swar.

Die Forschung von Kossin bestätigt ein anderes Phänomen, das Wissenschaftler seit etwa drei Jahrzehnten beobachten, untersuchen und messen: die Ausdehnung der Tropen. Nach der Analyse von Temperaturdaten aus den Jahren 1979 bis 2005 registrierten Meteorologen und Klimawissenschaftler ein Wachstum der Tropen um zwei Breitengrade oder 225 Kilometer. »Diese Ausdehnung hat potenziell wichtige Auswirkungen auf die subtropischen Gesellschaften und kann zu tief greifenden Änderungen im globalen Klimasystem führen«, hieß es in einer bereits 2007 im Wissenschaftsjournal »Nature Geoscience« veröffentlichten Studie. Trockene Weltregionen wie Südaustralien, das mediterrane Becken oder der nordamerikanische Südwesten, so die Warnung der Wissenschaftler, könnten durch die Ausdehnung der Tropen noch trockener werden. Die Bewohner der neuen Tropen hingegen müssten sich an mehr Regen, eine sich ändernde Umwelt und Störungen bei der traditionellen Nahrungsmittelproduktion gewöhnen.

Die Wissenschaft über expandierende Tropen und wandernde Stürme ist so neu, dass nicht genügend Daten für exakte Prognosen vorliegen. Was vorliegende Daten den Forschern ermöglichen, sind lediglich Computermodelle. James Kossin hält sich daher auch bei wichtigen Fragen zu den Auswirkungen der wandernden Stürme bedeckt. Was genau bedeuten die Veränderungen für die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit? »Das ist schwer zu sagen. Wir wissen nicht, wie sich die Dinge in der Zukunft ändern werden«, sagt Kossin. Hat die Polwärtsbewegung der Stürme eine Auswirkung auf den Monsun? »Auch das ist schwer zu sagen. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass der Monsun Auswirkungen auf die Stürme hat als umgekehrt.«

In diesem Jahr sorgen sich die Landwirte in Südostasien und Australien eher um die Gefahr eines sehr starken El Niño. Statt Stürmen droht spätestens in der zweiten Jahreshälfte eine Dürreperiode. »Während eines El Niño entwickeln sich tropische Stürme weiter östlich im Westpazifik und haben eine geringere Wirkung auf das Land in Südostasien«, sagt Kossin. Die Landwirte am Inle-See sehen den El Niño mit Schrecken.

»Während eines El Niño gibt es hier sechs bis sieben Monate keinen einzigen Regentropfen«, weiß Hans Leiendecker, Direktor des Weingutes am Inle-See. Wein ist nun nicht gerade das wichtigste landwirtschaftliche Produkt Myanmars. Aber der fruchtbare Shan-Staat ist bei der Produktion von Gemüse, Kartoffeln und Tomaten das, was das Irrawaddydelta beim Reis für Myanmar ist - lebenswichtig für die Ernährung der rund 60 Millionen Einwohner des Landes. Auf den Philippinen und in Indonesien sind die Vorboten des El Niño bereits zu spüren. Schlechte Ernten verteuern Reis und Mais. Ob Ernteausfälle durch Stürme oder El Niño - es sind die Armen, die schon zu normalen Zeiten überdurchschnittlich viel von ihrem Einkommen für Nahrungsmittel ausgeben müssen und als erste und am stärksten unter Preissteigerungen leiden.

Die gewohnten Wetter- und Klimamuster sind in Bewegung geraten. Schuld ist der Klimawandel. Andererseits sind die Beobachtungszeiträume zu kurz und die Klimawissenschaft zu jung, um halbwegs eindeutige Ursachen für die Veränderungen bei Niederschlägen, Stürmen und dem tropischen System auszumachen und Vorhersagen zu wagen. Die königlichen Ochsen in Thailand und Kambodscha müssen bis auf Weiteres nicht in existenzielle Sinnkrise verfallen.