Amin lässt das Libanon-Tribunal abblitzen

Sondergericht macht jetzt im Fall Hariri Jagd auf Journalisten

  • Lesedauer: 3 Min.
Das »Sondertribunal für Libanon« versucht sich mit einem juristischen Befreiungsschlag gegen prominente Kritiker im Zedernstaat.

»Ihr Gericht, Euer Ehren, ist Teil eines politischen Kurses. Ich wiederhole heute, dass ich die Legitimität dieses Gerichts nicht anerkenne. Es wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegründet, der noch nie irgendeinem Lande Sicherheit gewährt hat.« Mit diesen Worten wandte sich der Angeklagte Ibrahim Mohamed al-Amin, der Chefredakteur der Beiruter Tageszeitung »Al Akhbar«, dieser Tage an seinen Richter beim »Sondertribunal für Libanon« (STL), dem sichtlich erschrockenen Neapolitaner Nicola Lettieri. Per Video-Link aus Beirut dem STL in Leidschendam nahe Den Haag zugeschaltet, erklärte er, dass er damit auch keinerlei Anschuldigungen anerkenne, die es gegen ihn oder seine Zeitung gebe. Die Vorwürfe verstehe er nicht, daher habe er im Vorfeld um Klärung gebeten. Doch habe sich das Gericht geweigert, ihm weitere Details zu liefern.

Am 24. April 2014 hatte STL-Präsident Sir William David Baragwanath Klage gegen Amin sowie die stellvertretende Nachrichtenchefin und Managerin der politischen Programme beim TV-Sender »Al Dschadeed«, Karma Mohamed Tahsin al- Khayat, wegen »Missachtung und Behinderung der Justiz« erhoben. »Al Akhbar« sei für die Publikation einer Liste mit Fotos, Namen und Informationen von 32 »angeblich vertraulichen Zeugen der Anklage« verantwortlich. Khayat und »Al Dschadeed« wird zur Last gelegt, im August 2012 Dokumentationen über »potenzielle Zeugen des STL« ausgestrahlt zu haben. Sämtliches Material war durch »Lecks aus dem STL« in die Hände der Medienanstalten gelangt, die als einflussreichste Kritiker des Tribunals in Libanon gelten.

Das STL führt seit Januar 2014 einen Prozess in Abwesenheit gegen fünf Angehörige der schiitischen Hizbollah-Miliz, die laut Anklage den libanesischen Multimilliardär und Ex-Premier Rafik Hariri samt Fahrzeugkolonne am 14. Februar 2005 an Beiruts Seefront mit einer Autobombe in die Luft gejagt haben sollen. 23 Menschen starben damals, Hunderte wurden verletzt. Das spektakuläre Attentat bildete zudem den Auftakt zur »Zedernrevolution«, die den Abzug der Ordnungsmacht Syrien aus Libanon erzwang. Die Zweifel am Indizienverfahren in Leidschendam sind erheblich; zudem wurde die Seriosität des Tribunals in den vergangenen neun Jahren von Manipulations- und Korruptionsvorwürfen erschüttert.

Krimineller Glanzpunkt war der »Einkauf« falscher Zeugenaussagen mit Dollarmillionen im Sommer 2005; zu jener Zeit leitete der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis die Ermittlungen im Mordfall Hariri. Und sein damaliger Vize Gerhard Lehmann, Kontaktmann des Bundesnachrichtendienstes und Erster Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt, wurde zudem in Beirut verdeckt gefilmt, als er gegen Geldzahlungen offenbar Dokumente der UN-Untersuchungskommission aushändigte. So zumindest interpretieren libanesische Ermittler den Mitschnitt. »Al Akhbar« und »Al Dschadeed« publizierten darüber.

Lettieri versuchte zu Beginn der Anhörung zu beschwichtigen, »die Vorwürfe gegen Al Amin seien nicht der kritischen Position der Tageszeitung gegenüber dem Tribunal geschuldet«. Dieser und seine Mitstreiter wiederum haben »beschlossen, das STL als eine Plattform zu nutzen, mittels der wir dieses Gericht vor Gericht bringen im Namen des Gewissens, der Moral, der Pressefreiheit, der gesetzlichen Rechte, der nationalen Souveränität, des Widerstandes und auch im Namen Palästinas«.

Das Tribunal sei Teil eines politischen Komplotts, das sich gegen libanesische Kräfte (sprich: Hisbollah), die gegen die Pläne der USA und Israels für den Libanon kämpfen verschworen hat. Der sichtlich genervte Lettieri schnitt das Statement des Journalisten kurzerhand ab: »Es ist sinnlos, über Themen zu sprechen, die nicht in unsere Zuständigkeit fallen.« Der Journalist, der auf einen Verteidiger verzichtet hatte, kritisierte das Sprechverbot, nannte es ein »Zeichen der Unterdrückung«, die das Tribunal praktiziere. »Ich möchte Sie darüber informieren, dass ich während der (kommenden) Verhandlungen stumm bleiben und mich weigern werde, einen Anwalt für mich oder Al Akhbar zu bestellen, und mich jedem Anwalt verweigere, den Sie für mich oder die Zeitung ernennen.« Amin verließ darauf ohne weiteren Kommentar das STL-Hauptquartier in Beirut. Nach zehnminütiger Beratungspause erklärte Lettier, er werde »Amins Haltung als ein Plädoyer für nicht schuldig interpretieren«. Dem Journalisten drohen bei einer Verurteilung sieben Jahre Haft und/oder 100 000 Euro Geldstrafe.

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