Künstlernah

Pulsnitz zeigt »Künstler im Selbstporträt«

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Hört man von Pulsnitz, dann denkt man nichts Arges. Achja, fällt einem ein, das ist die sächsische Kleinstadt, die schon immer der Großstadt Nürnberg den Rang abzulaufen drohte, was das Backen von Pfefferkuchen betraf. Und wer weiß schon, dass Pulsnitz den über Dresden hinaus deutschlandweit namhaften Bildhauer Ernst Rietschel hervorgebracht hat? Die Pulsnitzer selbst drohten es zu vergessen, ehe sich 1991 der »Ernst-Rietschel-Kulturring e.V.« gründete, um das Geburtshaus des Mitbürgers für einen Galeriebetrieb zu restaurieren. Unter der Regie der umsichtig wie tatkräftig wirkenden Sabine Schubert tat sich inzwischen in dem nur 30 Kilometer von Dresden entfernten Pulsnitz eine Menge: Zunächst eine beispiellose bildkünstlerische Ausstattung von Gebäude und Park des hier ansässigen Helios-Sanatoriums. Seit dem Jahr 2000 zeigt in zwei Etagen mit Kabinettcharakter das Rietschel-Haus Bildhauerisches und Zeichnerisches einzelner Künstler.

Das aber ist noch gar nichts gegenüber dem, was sich neuerdings abspielt: Da machte 2010 im Stadtzentrum der 1976 als HO-Kaufhalle gebaute und von »Spar« genutzte Supermarkt dicht. Vor dem drohenden Abriss stand die Kunst in Gestalt von Sabine Schubert vor der Tür. Ihr Kulturring erwarb kurzerhand die 500 qm Fläche und renovierte das Ganze so gelungen zu dem Zweck einer Kunsthalle, dass man nur noch staunen kann. Seit zwei Jahren brummt nun der Betrieb. Und zur Zeit ist mit den 195 Selbstbildnissen sächsischer Künstler der absolute Hammer zu verzeichnen. Ganz naiv lud die Frau Kuratorin etwa 150 im näheren und weiteren Umkreis ansässige Künstlerinnen und Künstler ein, sich mit ihren malerischen, graphischen und plastischen Selbstdarstellungen zu zeigen. Der Funke sprang über. Ein Feuerwerk von neuen Varianten zu einer Tradition wird sichtbar. Das klassische Selbstbildnis war ja statisch auf ein Gesicht mit angestrengtem Blick in einen Spiegel festgelegt. Eher selten kam bislang Bewegung oder gar Befreiung vom Zwang des gebannten Blicks zustande. Nun ist alles ziemlich anders. Und das ist gut so - und sehr ansehenswert.

Schon die Bildtitel verraten ein Freimachen vom Schema: Elke Hopfe »Eine Art Selbst«. Claus Weidensdorfer »Mann im Käfig«. Annette Gundermann »Im Atelier«. Reiner Schwarz »Als malender Affe«. Angela Hampel »Selbst mit Faun«. Elke Daemmrich »Frau mit Chamäleon«. Thomas K. Müller »Selbst ethnologisch«. Lee D. Böhm »Kunst & Unzucht«. Dieter Bock von Lennep »Kleine Arche«. Christoph Wetzel »Die Wand mit den Dingen«. Die Gestaltungsweisen sind so verschieden wie die Temperamente. Würdevolle Gebärden gibt es nicht mehr. Bescheidenheit ist angesagt. Knallige Signalfarbe leuchtet neben verhalten verschwiegener Stille. Kleine Skulpturen beleben den freien Raum zusätzlich: Kompakt in Gips Veronica von Appen »Veronica«. Als ein geknüpftes Drahtgewirr Volker Lenkeit »Selbst I«. Gebaut in Schamotte und Ton Karin Heyne »Großer Kopf«. Als figürliche Terracotta Jürgen Cominotto - nur komplett »Mit Kind«.

Da die gegenwärtigen Talente so variabel, so originell, so einfallsreich reagierten, konnte die Kuratorin es wagen, die Auswahl mit einer Zugabe vor allem von druckgraphischen Selbstporträts schon verstorbener Größen der Kunstszene zu veredeln: Käthe Kollwitz, Arno Mohr, Werner Tübke, Kurt Querner, Gerhard Marcks, Ludwig Meidner, Max Beckmann und manch anderer findet sich da bis in die Vitrinen. Gerade dieser Umstand sprach sich schnell herum, und stärkte das Selbstbewusstsein manch von zagen Zweifeln Geplagter. So entsteht in diesem hell und klar durchleuchteten Areal ein belebendes geistiges Flair. Eine Art bildlicher Zwiesprache öffnet die Bild an Bild bestückten Wände. Sie spricht sowohl das Publikum wie die Ausstellenden selbst auf bemerkenswerte Weise an. Beide kommen in Familie. Die Gespräche über diese kunstgemäßen Selbstbetrachtungen reißen nicht ab, wenn man anschließend an der gegenüberliegenden Ecke seine Tasse »heeßen« sächsischen Kaffee schlürft. Da kommt man schon ins Grübeln, ob das hier nun bloß Provinz oder aber ein Topstandort für Präsentation von zeitgenössischer Kunst ist. Ja, warum eigentlich nicht?

Künstler im Selbstbildnis. Ostsächsische Kunsthalle Pulsnitz, Robert-Koch-Str.12 01896 Pulsnitz. Bis 22. Juni, Do /Fr/ So 14 - 17 Uhr oder telefonisch unter (03 59 55) 442 46

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