Polizisten zweifeln an Prügeleinsatz

Hamburger Beamte räumen Flüchtlingsprotest / Berichte über interne Kritik an Einsatz bestritten

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Demonstranten loben Polizisten? Nur die, die Einwände gegen die gewaltsame Räumung der Flüchtlinge in Hamburg vorgebracht haben sollen. Die Polizei weist das jedoch zurück.

In Hamburg wehrt sich die Polizei gegen die Polizei. Zumindest protestierten Teile einer Einheit nach Augenzeugenberichten gegen ihren eigenen Einsatz bei der gewaltsamen Auflösung einer Sitzblockade durch die Flüchtlingsgruppe »Lampedusa in Hamburg« vor dem Rathaus. Die umstrittene Vokabel lautet »Remonstration« und bezeichnet Einwände von Beamten gegenüber der Rechtmäßigkeit einer Weisung ihres Vorgesetzten. Es geht um mehrere Mitglieder eine Hundertschaft, die während einer Kundgebung der Lampedusa-Gruppe Bedenken gegen die Räumung einer Treppe auf dem Rathausmarkt formuliert haben. Die LINKEN-Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider hatte via Twitter vom polizeiinternen Protest berichtet und ihn mit einem »Alle Achtung!« bedacht. Auch das Internet-Stadtteilmagazin »Mittendrin« sprach davon, »dass einige Polizisten zuvor auf dem Rathausmarkt gegen das angeordnete Vorgehen protestiert haben. Von vielen Demonstranten wurde den betreffenden Beamten dafür Respekt ausgesprochen«.

Die Polizeipressestelle der Hansestadt bestätigte gegenüber »nd«, dass es während des Einsatzes unterschiedliche Auffassungen zur Vorgehensweise gegeben habe. Zu einer juristisch zu begründenden Remonstration sei es jedoch nicht gekommen, erklärte Pressesprecherin Ulrike Sweden: »Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einsatzes sind nie geäußert worden. Einige Kollegen haben lediglich gesagt: ›Wir würden das lieber anders machen.‹«

Auch wenn es sich nicht um eine beamtenrechtliche Remonstration handeln sollte: Wie stark die Polizei sich an strikte Law-and-Order-Richtlinien halten soll, ist nicht zum ersten Mal umstritten, sondern spätestens seit der Einrichtung und Umsetzung der innerstädtischen Gefahrengebiete Anfang 2014 Gegenstand einer öffentlichen Diskussion, die nicht nur die Hamburger Polizei im 200. Jahr ihres Bestehens beschäftigt. Bereits im Oktober soll eine Razzia im Kirchenasyl abgeblasen worden sein, weil örtliche Einsatzleiter Bedenken hatten. Mehrere Polizisten sollen sich zudem krank gemeldet haben.

Die bedächtigeren Beamten konnten sich am Donnerstag nicht durchsetzen. Am Nachmittag waren ursprünglich Gespräche der Flüchtlinge im Rathaus mit den Oppositionspolitikerinnen Antje Möller von den Grünen und der Linken Schneider geplant. Die etwa 70-köpfige Lampedusa-Gruppe entschloss sich jedoch, ihrer Forderung nach »Aufenthaltserlaubnis und Schlafmöglichkeiten« durchs gemeinschaftliche Sitzen vor dem Rathaus Nachdruck zu verleihen. Mit dem Ende des Hamburger Winternotprogramms und dem Abbau von Wohncontainern Anfang dieser Woche hat sich die Situation vieler der insgesamt rund 300 Flüchtlinge aus Libyen verschärft.

Nach mehrfacher Aufforderung, den Rathausvorplatz zu verlassen, schritten die Beamten etwa zwei Stunden nach Beginn der Kundgebung unter Verwendung von Pfefferspray zur Tat. In tumultartigen Szenen wurden die Sitzenden weggeschleift oder in einigen Fällen in Handschellen abgeführt. Die Polizei nahm drei Personen wegen »Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte« fest. Die Bürgerschaftsabgeordnete Möller sprach von »sehr heftigen Zugriffen von Polizisten«, das Magazin Mittendrin schilderte: »Demonstranten und Flüchtlinge wurden zu Boden gedrückt und mit Faustschlägen und Fußtritten angegangen. Der Boden war nass von Pfefferspray.«

Das Misstrauen der Flüchtlinge gegenüber dem Senat erhielt Anfang der Woche neue Nahrung, als die ersten beiden Abschiebeanordnungen gegen Mitglieder der Lampedusa-Gruppe ergingen. Sie hatten sich, wie vom Senat verlangt, bei der Ausländerbehörde ausgewiesen. Am 16. Juni berät der Eingabenausschuss der Bürgerschaft über die Fälle. Die Mehrheit der Flüchtlinge fordert ein gemeinsames Aufenthaltsrecht nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes. Kommentar Seite 2

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