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Hitlers Bruder und der Großmufti

Paul Kohl begab sich auf die Spur von 111 »bösen Orten« aus der NS-Zeit

  • Ernst Reuß
  • Lesedauer: 2 Min.

Paul Kohl, der vor vielen Jahren ein bemerkenswertes Buch zum Überfall auf die Sowjetunion anhand von Erzählungen überlebender Zeitzeugen schrieb, hat sich jetzt mit seinem Buch über 111 »böse Orte« in Berlin hiesigen Stätten zugewandt, die zumeist mit ungeheuren NS-Verbrechen verbunden sind. Der Autor hat Entdeckungen gemacht, die zuweilen banal erscheinen mögen. Interessant ist es trotzdem allemal, was der Autor zu erzählen hat. Wer weiß beispielsweise, dass Adolf Hitlers Halbbruder Alois, ein verurteilter Betrüger, Hochstapler und Bigamist, als Kellner im Weinhaus Huth arbeitete und später eine Nazi-Szenenkneipe am Wittenbergplatz besaß? Und dass er Antifaschisten denunzierte? Kurz vor Kriegsende floh er nach Hamburg, ließ seinen Namen in Hiller ändern und starb dort unbehelligt elf Jahre nach dem Krieg.

Ebenso dürfte kaum jemand wissen, dass der Aufenthalt des Großmufti von Jerusalem im Hotel »Adlon« in Berlin 1941 bis 1945 mit monatlich 75 000 Reichsmark finanziert wurde. Mohammed Amin al-Husseini war sich mit Hitler einig, dass die Juden »ausgerottet« werden müssten und hintertrieb die Auswanderung von 5000 bulgarischen Kindern jüdischer Herkunft nach Palästina, was dem Todesurteil gegen jene gleichkam.

Kohl und seine Fotografin Nadia Boegli informieren über allgemein bekannte NS-Terrorstätten wie den Sitz der Gestapo oder die Euthanasie-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, über Hitlers Reichskanzlei und das Domizil der Reichsbank. Es werden jedoch auch unbekannte Orte vorgestellt, etwa die »Reichsbräuteschule« oder jene Fabrik, in der die Davidssterne herstellt wurden, die jeder Berliner Jude ab sechs Jahren für zehn Pfennige kaufen musste, als das Tragen des »Judensterns« verordnet worden ist. Erinnert wird an Orte, an denen mutige Berliner jüdische Mitbürger versteckten. Und wer von heutigen Konzertbesuchern weiß, dass sich hinter der »Waldbühne« eine Erschießungsstätte für Pazifisten in der NS-Zeit befand?

Die »bösen Orte« werden jeweils auf einer Seite textlich und auf der gegenüberliegenden Seite bildlich vorgestellt. Ein Lageplan und Anfahrtsmöglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln erhöhen den Gebrauchswert des Buches für interessierte Berliner und Berlinbesucher. Ernst Reuß

Nadia Boegli/Paul Kohl: 111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazi-Zeit. Emons Verlag. 240 S., br., 14,95 €.

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