Das Ende der heimischen Erdbeere

Jörg Meyer über die anhaltende Mindestlohndebatte

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

»Findet Euch doch endlich damit ab«, möchte man rufen. Aber die Mindestlohngegner in der Union wollen nicht klein beigeben. Zuletzt forderte Fraktionschef Volker Kauder, man müsse noch über »mehrere Punkte« reden. CDU-Vize Thomas Strobl konkretisierte, Saisonarbeiter, die zur Spargel- oder Erdbeerernte nach Deutschland kämen, müssten ausgenommen werden, »weil ansonsten eine landwirtschaftliche Produktion dieser Sonderkulturen in Deutschland nicht mehr möglich ist«, sagte Strobl im Deutschlandfunk. Eine Begründung, warum der Beelitzer Spargel nach Einführung eines Mindestlohnes in fremden Landen angebaut und geerntet werden müsste, blieb der Politiker schuldig, aber das ist nichts Neues. Schlimm genug, dass heute einer öffentlich fordert, unser feines Fressen solle weiterhin auf Ausbeutung basieren.

Flankiert werden derlei Behauptungen von oft neoliberalen Wirtschaftsinstituten, die stets aufs Neue Gefahren für die kapitalistische Produktionsweise nachweisen. Am Donnerstag meldete das Institut für Weltwirtschaft, Deutschland stehe vor einer Hochkonjunktur mit sinkender Erwerbslosigkeit und steigenden Löhnen. Derlei frohe Zukunft sollte aber nicht durch »wachstumsfeindliche Pläne« wie den Mindestlohn vermiest werden.

Die ebenfalls sattsam bekannten Argumente der SPD-, LINKE- oder gewerkschaftsnahen Institute lauten: Ausnahmen sind schlecht fürs Tarifsystem und schaffen neue Billiglohnbereiche, weniger Niedriglohn heißt weniger Transferausgaben, mehr Lohn heißt mehr Kaufkraft, heißt mehr Konjunktur. Dass hohe Unionspolitiker wie Strobl nun sagen, ohne den Billiglohn für die ausländischen Saisonkräfte, die überdies von dem hier Verdienten zu Hause ein Jahr leben können, dräut das Ende der heimischen Erdbeere, ist schäbig. Sie bemühen längst widerlegte Argumente, um wenigstens noch einen kleinen Stich zu machen. Denn es geht um etwas anderes: Wählerstimmen. Genau so wenig, wie sich die SPD, die sich mühevoll an die Gewerkschaften wieder angenähert hat, beim Mindestlohn die Butter vom Brot nehmen lassen kann, kann die Union ihre rechten Bedenkenträger und Gegner jeglicher Verbesserungen für Beschäftigte unbeachtet lassen. Den Beweis lieferte Volker Kauder höchstselbst, der am Donnerstag betonte, die Union dürfe in der Debatte nicht den Weg der SPD in der letzten Großen Koalition gehen. Die SPD hatte bei den Wahlen 2009 eine historische Niederlage erlitten.

Und für CDU-Vize Thomas Strobl noch ein Vorschlag: Wenn er tatsächlich glaubt, alles sei gut auf deutschen Erdbeerfeldern, bei den entsandten Beschäftigten aus dem EU-Ausland, so sei ihm ein mehrwöchiges Praktikum in einer der Beratungsstellen »Faire Mobilität« des DGB empfohlen. Da kann er schnell lernen, warum der Mindestlohn ohne Ausnahmen so wichtig ist.

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