Irdische Sozialarbeit

Das Chemnitzer Kosmonautenzentrum feierte seinen 50. Geburtstag - mit Sigmund Jähn

  • Jörg Schurig, Chemnitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie wollen Tierarzt, Profi-Kicker oder Schauspieler werden: Die Kinder und Jugendlichen vom Kosmonautenzentrum Chemnitz träumen nicht unbedingt vom Fliegen. Hier geht es eher um irdische Tugenden.

So richtig abheben will Mike Malmberg aus Chemnitz eigentlich nur auf dem Rasen - als Fußballer in einem Profi-Team. Derzeit hat der Zwölfjährige aber erstmal nur einen Stammplatz im Chemnitzer Kosmonautenzentrum »Sigmund Jähn«. Hier gehört der Schüler zur »Stammbesatzung«. So nennen sich die etwa zwei Dutzend Mädchen und Jungen, die im Zentrum Besucher betreuen.

Etwa 60 weitere junge Leute sind in den Arbeitsgruppen für Computer, Astronomie oder andere Dinge tätig. Das Zentrum ist ein Beispiel für ganz irdische Sozialarbeit: Soziale Kompetenz, Wissensdurst, Selbstbewusstsein, Hilfsbereitschaft oder Verantwortungsbewusstsein - all das soll hier trainiert werden.

»Wir lernten, dass es wichtig ist, pünktlich zu sein«, sagt Ramona Glaubitz, die zu DDR-Zeiten als Zehnjährige in das Zentrum kam. Man habe ja regelmäßig seinen Dienst absolvieren und dabei Verantwortung übernehmen müssen. »Wir haben gelernt, über den Tellerrand zu schauen.«

Ramonas Vater Wolfgang Möbius war damals Chef der Einrichtung: »Natürlich wollten wir den Kindern schon damals nicht den Spleen vermitteln, dass alle Kosmonauten werden können«, sagt der Lehrer. Es sei um ganz andere Dinge gegangen, die Begeisterung für Wissenschaft und Technik, um Kreativität in der Bastelwerkstatt, Alltag statt All, aber jede Menge Spaß.

Nun feiert das Kosmonautenzentrum seinen 50. Geburtstag. In einem halben Jahrhundert hat sich nicht nur die Raumfahrt verändert. Als das Zentrum im Sommer 1964 entstand, hieß Chemnitz noch Karl- Marx-Stadt. Drei Jahre zuvor war Juri Gagarin als erster Mensch ins All geflogen. Der Flug wurde letztlich auch zur Initialzündung für den Jugendtreff im Chemnitzer Küchwald.

Dass er die Wendezeit überdauerte, darf als kleines Wunder gelten. Denn vielerorts wurden damals ähnliche Einrichtungen mangels Geld geschlossen. Sigmund Jähn - 1978 erster Deutscher im All - rechnet es der Stadt Chemnitz hoch an, dass sie damals nicht Tabula rasa machte.

Zum Geburtstag des 1980 nach ihm benannten Zentrums ist Jähn nun nach Chemnitz gekommen. Für viele im Osten Deutschlands ist der gebürtige Vogtländer ein Held, seit er 1978 zusammen mit dem UdSSR-Kosmonauten Waleri Bykowski ins All flog. Heute ist Jähn Berater der European Space Agency (ESA) und regelmäßig bei den Starts vom Weltraumbahnhof in Baikonur (Kasachstan) dabei. Als Deutschlands aktueller Astronaut Alexander Gerst unlängst dort abhob, bemerkte Jähn augenzwinkernd: »Ich würde sofort einsteigen, leider fragt keiner.«

»Raumfahrt bleibt immer interessant und auch wichtig«, sagt Jähn. Mit knapp 80 Jahren seien seine besten Zeiten aber leider vorbei. Dennoch verfolgt er das aktuelle Geschehen genau. Nicht alle Entwicklungen hält Jähn für sinnvoll. »Auf dem Mars lassen sich nun mal keine Radieschen anpflanzen«, dämpft er allzu große Hoffnungen. Dass die Raumfahrt trotz politischer Spannungen noch funktioniert, hält Jähn für beispielhaft. Letztlich könnten die Staaten nur mit ihrem gemeinsamen Potenzial weiter den Weltraum erforschen: »Hoffentlich siegt die Vernunft und die Raumfahrt geht so weiter, wie wir sie gegenwärtig erleben.«

Beim Geburtstag in Chemnitz ist Jähn so dicht umringt wie damals nach seiner Landung zurück auf der Erde. Viele Mädchen und Jungen wollen sich mit ihrem Idol fotografieren lassen. Jähn freut sich darüber, dass die Schüler hier ernsthaften Dingen nachgehen: »Natürlich werden sie nicht alle in den Kosmos fliegen. Aber sie werden von hier viel mitnehmen für ihre Zukunft.« dpa/nd

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