»Monsterschildkröte« wird Mitbürger

Fast ein Jahr nach der Aufregung um die geheimnisvolle Lotti wird in Irsee wieder gebadet - nicht ganz unbeschwert

  • Birgit Ellinger, Irsee
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Badebetrieb am Oggenrieder Weiher in Bayern läuft, doch auch fast ein Jahr nach den rätselhaften Ereignissen dort beherrscht ein Thema die Gespräche: die unauffindbare Alligator-Schildkröte Lotti.

Lotti wurde nie gesehen. Ob sie tatsächlich existierte oder die Irseer im vergangenen Sommer einem Phantom hinterher jagten, wird wohl nie geklärt werden. Trotzdem ist die unauffindbare Alligator-Schildkröte auch knapp ein Jahr nach den rätselhaften Ereignissen noch Thema am Oggenrieder Weiher bei Irsee im Allgäu.

»Man hört noch viele Badegäste über Lotti reden. Vor allem Kindern merkt man die Verunsicherung an, wenn sie ins Wasser gehen«, sagt Sabine Einfeldt, die mit ihrer siebenjährigen Tochter zum Baden gekommen ist. Die Freundin der Tochter zum Beispiel »geht nicht mehr in den Oggenrieder Weiher.«

Der Parkplatz am Naturbadesee am Ortsrand von Irsee ist proppenvoll. Es sind Pfingstferien und knapp 30 Grad im Schatten. Viele Urlauber und Einheimische tummeln sich auf der Liegewiese, erfrischen sich im Wasser oder stehen am Kiosk an, um ein Eis oder eine Portion Pommes zu ergattern. »Wir kommen regelmäßig zum Baden her - das war auch schon vor Lotti so. Der See liegt wunderschön und hier ist deutlich weniger los als in den Freibädern«, sagt Einfeldt, die aus dem benachbarten Kaufbeuren kommt. Den Rummel um Schildkröte Lotti hat ihre Familie allerdings aus der Ferne verfolgt. »Wir waren in Schweden im Urlaub und haben dort im Fernsehen einen Bericht über Lotti gesehen. Unglaublich - plötzlich war Irsee berühmt.«

Schuld daran war ein Unfall, der sich am 5. August in der Ostallgäuer Gemeinde ereignete. Ein achtjähriger Bub hatte sich im Oggenrieder Weiher eine stark blutende Fußverletzung zugezogen: Zweimal wurde seine Achillessehne durchtrennt. Experten sagten, dass es sich um den Biss einer Alligator-Schildkröte handeln könnte. Danach erlebte der 1400-Seelen-Ort einen äußerst spannenden Sommer. Journalisten und Kamerateams aus aller Welt interessierten sich plötzlich für den Oggenrieder Weiher und die »Monsterschildkröte«, die es sogar bis auf das Titelblatt einer Zeitung in den USA und in die Topnachrichten eines neuseeländischen Senders geschafft hatte.

Monatelang ließ die Gemeinde nichts unversucht, um das Tier zu finden. So wurde das Wasser des 16 000 Quadratmeter großen Naturbadesees abgelassen und der schlammige Grund durchsucht. Zusätzlich wurden bei der Jagd auf Lotti, wie das Reptil genannt wird, Nachtsichtkameras, Lebendfallen und Spürhunde eingesetzt. Doch die Suche war vergebens, Lotti blieb verschwunden. Auch die ausgesetzte Belohnung von 1000 Euro führte nicht zum Erfolg.

Zehn Monate nach dem Unfall ist die Suche noch immer nicht abgeschlossen. Drei Lebendfallen mit Ködern wie Herz, Leber und Pansen wurden vor Beginn der Badesaison ausgebracht. Sie werden regelmäßig von Gemeindemitarbeitern kontrolliert. »Solange wir nicht hundertprozentig wissen, dass es keine Schildkröte in dem Weiher gibt, müssen wir zur Sicherheit der Badegäste Maßnahmen ergreifen«, sagt Irsees Bürgermeister Andreas Lieb.

Obwohl es keine Gewissheit über Lottis Verbleib gibt, ist der Oggenrieder Weiher wieder zum Baden freigegeben - allerdings auf eigene Gefahr, wie an anderen Weihern auch. »Ein bisschen unheimlich ist mir schon«, sagt Daniela Schweikl, die es sich mit ihrer Familie am See gemütlich gemacht hat. Schweikl ist überzeugt davon, dass Lotti existiert hat. Damit sich Eltern und Kinder sicherer fühlen, wurde das Kinderbecken umzäunt, damit dort keine größeren Tiere hineinschwimmen können. Außerdem wurden Informationstafeln aufgestellt, die über die Vorfälle aus dem vergangenen Sommer informieren. Dort sind auch Rufnummern aufgeführt, falls jemand Beobachtungen macht, »die auf die Anwesenheit einer Schildkröte im Weiherbereich schließen lassen«.

Im Ort selbst hat die Alligator-Schildkröte inzwischen einen gewissen Kultstatus erlangt. »Lotti ist Mitbürger geworden«, sagt Bürgermeister Lieb. Das habe sich nicht zuletzt bei der Bürgermeisterwahl im März gezeigt: »Zwei Stimmen gingen an Lotti.« dpa/nd

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