Zum Bachfest nach Leipzig

Im Alter von 300 Jahren schließt Carl Philipp Emanuel zum Vater auf

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Es hat lange gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass das Schaffen von Johann Sebastian Bach zu den Dreh- und Angelpunkten der europäischen Musikgeschichte gehört. Seine Werke eröffneten neue harmonische Horizonte und wurden nach einer langen Phase des Nichtverstehens zur Inspirationsquelle für Komponisten späterer Epochen, bis hin zur neuen Musik und zum Jazz.

Noch länger brauchte es, bis auch sein 1714 geborener zweitältester Sohnes Carl Philipp Emanuel (C.P.E.) die Wertschätzung erfuhr, die seiner epochalen Bedeutung als Wegbereiter der Klassik gebührt. Sein 300. Geburtstag war für das Bach-Archiv Leipzig ein willkommener Anlass, C.P.E bei der diesjährigen Ausgabe des Bachfestes gleichberechtigt neben seinen Übervater zu stellen, der in der Stadt von 1722 bis zu seinem Tod 1750 als Thomaskantor wirkte.

Leipzig hat dieses große Erbe angenommen. Das Bach-Archiv gehört zu den wichtigsten Forschungsstätten seiner Art, die Stadt ist von einem regen Musikleben geprägt, das jährliche Bachfest - diesmal mit insgesamt 107 Veranstaltungen - hat einen gewichtigen Platz im nationalen und internationalen Musikkalender. Natürlich gibt es auch andere Festivals alter Musik, auf denen sich die Elite dieses Genres präsentiert, doch Leipzig kann darüber hinaus mit den historischen Spielstätten der Bach-Ära punkten - und natürlich mit dem Thomanerchor.

Bei der Eröffnung des Festes am Freitag standen geistliche Werke von Johann Sebastian und C.P.E. Bach auf dem Programm. Ein furioser Auftakt: Geleitet von Gotthold Schwarz, der den erkrankten Thomaskantor Georg Christoph Biller während des Festes vertritt, füllten der Chor, die Solisten und das Tafelmusik Baroque Orchestra aus Toronto die beiden Magnificate, ohne Pathos, mit Glanz. Man spürt, wie sich der Sohn vom Vater musikalisch emanzipiert hatte und vor allem Kontrapunkte und Harmoniewechsel offener und spielerischer gestaltete.

Doch der besondere Charme des Festivals offenbart sich nach den großen (und entsprechend teuren) Konzerten. Ein paar Gehminuten von der Thomaskriche entfernt, wird auf dem alten Marktplatz »BACHmosphäre« zelebriert, wie es die Veranstalter nennen. Dort begab sich am Freitag das »LeipJAZZig-Orkester« auf die Spuren des musikalischen Übervaters, und ein Star-Tenor wie Martin Petzold ist sich nicht zu schade, dabei mitzuwirken, die Zeitlosigkeit spätbarocker Kantaten zu demonstrieren. Auch der Freiluftgottesdienst am Sonntag mit den Thomanern zählt zu den Alleinstellungsmerkmalen der Leipziger Veranstaltungsreihe.

Zum Bachfest gehören ebenso die leisen Momente, wie die nächtliche Aufführung von zwei Solopartiten für Violine am Sonnabend in der Thomaskirche. Midori Seiler, seit Jahren eine der führenden Interpretinnen und Lehrkräften für Alte Musik, interpretierte die Werke mit jener Mischung aus Virtuosität, Zartheit und analytischer Schärfe, die den Zauber dieser Miniaturen ausmachen. Dazu kam der extreme Hall in der nur mäßig gefüllten Kirche, der für ein nahezu sphärisches Klangbild sorgte und die Melodiebögen zu harmonischen Clustern verschmelzen ließ - was Bachs Intentionen beim Komponieren der Partiten wohl ziemlich nahe kommt.

Das alles und noch viel mehr ist die »Wahre Art«, und so lautet auch das Motto des diesjährigen Bachfestes. Namenspatron ist das 1753 entstandene Standardwerk von C.P.E. Bach über das Klavierspiel, das er mit sich ständig variierenden harmonischen und rhythmischen Wendungen aus der spätbarocken Strenge führte. Leipzig hat seinen »verlorenen Sohn« C.P.E., der die Stadt 1734 verließ und sich 1750 und 1755 vergeblich um das Thomaskantorat bewarb, jedenfalls gebührend rehabilitiert.

In der laufenden Woche gibt es bis zum Schlusskonzert am Sonntag noch viel zu beim Bachfest zu erleben: Metten und Motetten in den Kirchen, Orgelfahrten in verschiedene Städte, kammermusikalische Aufführungen, große Kantatenkonzerte und auch spezielle Programme für Kinder und Jugendliche. Wer Zeit hat, sollte der Bachstadt Leipzig in den kommenden Tagen einen Besuch abstatten - und wird es nicht bereuen.

www.bachfest-leipzig.de

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