Streit um Inseln am Alex

Vietnamesischer Protest in Berlin gegen chinesische Intervention vor Vietnams Küste

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Beim Protest gegen Chinas Politik im südchinesischen Meer kamen erstmals auch vietnamesische Bootsflüchtlinge und ehemalige Vertragsarbeiter zusammen.

Der Bundesverband der Vietnamesen in Deutschland forderte am Sonntag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, bei der Regierung in Peking gegen die chinesische Intervention in Vietnams Küstengewässern zu protestieren. «China muss die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen UNCLO Seinhalten», sagt Sprecher Vu Quoc Nam vor 1500 Demonstranten. «Hände weg von Vietnam» stand auf einigen der Transparente, mit denen die Demonstranten vom Berliner Alexanderplatz zur chinesischen Botschaft zogen.

Hintergrund ist ein Konflikt zwischen Vietnam und China um Seegebiete und weitgehend unbewohnte Inseln im Südchinesischen Meer, die beide Seiten für sich reklamieren. Die Region gilt als ölreich und wer sie kontrolliert, kontrolliert die auch Handelswege in Fernost. In der Kolonialzeit gehörten die Inseln laut internationalen Verträgen zu Französisch-Indochina, 1945 gingen sie an Vietnam über. 1974, gegen Ende des Vietnamkrieges, nutzte China das machtpolitische Vakuum, um Teile der Inseln zu erobern und die gesamten Paracelinseln als sein Hoheitsgebiet zu proklamieren. Inzwischen beansprucht China sogar 80 Prozent des Südchinesischen Meeren als sein Hoheitsgebiet und hat dadurch auch mit anderen Anrainern Konflikte.

Das Thema ist unter in Deutschland lebenden Vietnamesen ein sehr emotionales. Wenn für bessere Bildung, gegen Sozialabbau in Deutschland oder für die doppelte Staatsangehörigkeit demonstriert wird, sieht man kaum vietnamesische Teilnehmer. Die Inseln im Südchinesischen Meer allerdings bringen die Leute auf die Straße. Die Demonstrationsteilnehmer, die aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren, sangen inbrünstig patriotische Lieder und schwenkten Fahnen. «Meine Verwandten sind Fischer in Zentralvietnam und können wegen des Konfliktes nicht mehr aufs Meer», erklärte eine Frau aus Potsdam. Organisatoren sammelten in Berlin Spenden für in Not geratene Seeleute und Fischer. Tamara Hentschel vom Berliner Verein «Reistrommel» forderte vietnamesische Händler in Deutschland zum Boykott chinesischer Waren auf.

Auch in Vietnam war es im Mai zu zahlreichen Demonstrationen und auch zu Ausschreitungen gegen chinesische Unternehmen gekommen. Die Situation geriet zeitweise außer Kontrolle. Premierminister Nguyen Tan Dung ruft jetzt die Staatsbürger regelmäßig per SMS auf, sich nicht mehr an den Demonstrationen gegen China zu beteiligen.

«Ich kann mit meinem Protest meine Verwandten und Landsleute in Vietnam unterstützen, die selbst nicht demonstrieren können», sagt ein Teilnehmer aus Sachsen. Am Rande des Demonstrationszuges kam es auch zu vorsichtigen Begegnungen zwischen den beiden arg zerstrittenen Gruppen der Vietnamesen in Deutschland, den ehemaligen DDR-Vertragsarbeitern, hinter denen der Bundesverband steht und den Bootsflüchtlingen. «Wir sind auch gegen Chinas Aggression», sagt ein Vertreter vom Verein der Bootsflüchtlinge. «Aber das ist unsere einzige Gemeinsamkeit.» Die Bootsflüchtlinge lehnen sowohl die vietnamesische Staatsflagge ab, die auf der Demonstration zahlreich geschwenkt wurde als auch viele Lieder und Symbole. Normalerweise demonstrieren beide Gruppen darum getrennt. Dass sich einige ihrer Vertreter dennoch dem Demonstrationszug anschlossen, wenn auch ohne Fahnen, ist ein Novum.

«Aus Vietnam stammende Menschen haben die gleichen sozialen Probleme, bei der Gesundheit, der Pflege, der Bildung ihrer Kinder, ...», sagt die Berlinerin Thuy Nonnemann, die sich in der SPD und in der Berliner Härtefallkommission engagiert. «Beide Communities können aber nicht zusammen kommen, um über Probleme zu diskutieren und eine Lösung dafür zu finden,» bedauert sie. Fahnen, Symbole und Musiken stünden im Weg. Ein Mann, der in der DDR studiert hat, aber seinen Namen nicht nennen will, ergänzt. «Es gibt zahlreiche Missverständnisse. Für uns Nordvietnamesen ist die vietnamesische Staatsflagge ein Bekenntnis zum Patriotismus. Viele Südvietnamesen in Deutschland hingegen sehen sie als Bekenntnis zum vietnamesischen Staat und lehnen sie darum ab.

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