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Die Frage des Umgangs

In der traditionellen Friedensbewegung und (radikalen) Linken steht noch nicht fest, ob und wie man sich verhält

Das Auftauchen der neuen Montagsmahnwachen überrumpelte vor einigen Monaten die etablierten Streiter für den Frieden. Seitdem ist man auf der Suche nach Antworten auf das Phänomen.

Eigentlich ist es eine tragische Situation für die Friedensbewegung: Da gehen endlich bislang unorganisierte, zudem noch zumeist junge Menschen auf die Straße, weil sie die Eskalation in der Ukraine beunruhigt. Sie folgen jedoch nicht dem Aufruf von Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen oder Pax Christi, sondern einem dubiosen Lars Mährholz auf Facebook. Seit es diese »neue Friedensbewegung« gibt, hat die alte ein Problem. Wie soll sie sich verhalten? Die Positionen schwanken derzeit zwischen Ausgrenzen, Ignorieren, Einmischen.

Zunächst waren die Reaktionen allerdings einhellig ablehnend: Echte Friedensfreunde, so hieß es, würden sich an dieser neurechten Bewegung nicht beteiligen. Die Kooperation für den Frieden, Bundesausschuss Friedensratschlag, Attac und Linkspartei verabschiedeten scharfe Distanzierungen. Damit war die Debatte jedoch nicht beendet, sondern erst eröffnet. In allen Organisationen meldeten sich Kritiker zu Wort, man habe die Montagsdemos vorschnell ins abseits gestellt. Das Spektrum sei zwar diffus bis wirr und mit Sicherheit unerfahren, aber auch nicht in Gänze neurechts und antisemitisch. Ein Aufruf zur »solidarischen Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen«, den der LINKE-Abgeordnete Andrej Hunko initiierte, hat Unterstützer aus der klassischen Friedensbewegung wie der radikalen Linken. Sie fordern eine differenziertere Wahrnehmung und sie betonen, dass die »neue« Bewegung in einigen Städten »mittlerweile einen klaren Trennstrich nach rechts gezogen« habe.

Tatsächlich haben etwa in Aachen, Stuttgart und Leipzig alte und neue Friedensbewegung zueinander gefunden. Das Engagement lohnt sich, ist Attac-Aktivist Mike Nagler überzeugt. Er hat sich zusammen mit Leuten von der LINKEN und etablierten Friedensvereinen in Leipzig schon früh in die Vorbereitungen der Mahnwachen eingebracht.

Inzwischen hat sich einiges an ihrem Charakter verändert. Die Veranstaltungen finden nicht nur unter dem Motto »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus« statt. Es wurden auch konkrete Maßnahmen ergriffen, um allzu kruden Welterklärungen weniger Raum zu bieten und Nazis gänzlich fern zu halten. So gibt es ein offenes Mikro inzwischen nicht mehr drei Stunden, sondern nur noch 30 Minuten, pro Beitrag gibt es drei Minuten. Längere Reden müssen angemeldet werden. Und man hat Antifa-Aktivisten dazu geholt, damit die Abgrenzung von Nazis nicht nur verbal, sondern real vollzogen werden kann. Sie passen auf und wenn der »um den Frieden besorgte Bürger aus Schneeberg« mit Redewunsch der dortige NPD-Chef ist, wird der Mann des Platzes verwiesen.

Anderswo lief es nicht so gut: So endete in Erfurt die Diskussion um den ex-linken Querfrontstrategen Jürgen Elsässer mit der Verdrängung der (linken) Kritiker. Diese versammeln sich nun dienstags, während die Elsässer-Fangemeinde am Montag unter sich ist. Bei der Berliner Mahnwache vor dem Brandenburger Tor, wo der wegen Holocaust-Verharmlosung vom RBB entlassene Radiomoderator Ken Jebsen eine wichtige Rolle spielt, schauen linke Kriegsgegner allenfalls als Beobachter vorbei. Nur einzelne treten offen auf, wie der Attac-Aktivist Pedram Shahyar und der Liedermacher Prinz Chaos II., die in ihren Reden die Eskalation in der Ukraine genauso deutlich verurteilen wie Nationalismus, Homophobie und Antisemitismus. Zuletzt stand Dieter Dehm (LINKE) als erster Bundestagsabgeordneter auf der Bühne. Der Auftritt bringt Fraktionskollegen erboste Facebook-Einträge aus der Friedensbewegung ein, Dehm endlich in die Schranken zu weisen, und ihm persönlich einen Beschluss des Berliner Landesvorstands, der seine Mitglieder im Bundesgremium auffordert, Dehms Missachtung der Distanzierungsauflage zur Sprache zu bringen.

Manche Organisationen haben inzwischen ihre erste Stellungnahme relativiert. So unterscheidet Attac nun zwischen »rechten Demagogen, die die Montagsdemonstrationen nutzen, um ihr reaktionäres Politikverständnis unter die Menschen zu bringen«, und »vielen Teilnehmer_innen, die dieses Ansinnen nicht teilen«. Die Kooperation für den Frieden will am Mittwoch bei einem Vorstandstreffen über die Montagsdemos reden. Bei der Interventionistischen Linken stand das Thema am Wochenende bei einem bundesweiten Treffen in Hannover auf der Tagesordnung. Es hat ein bisschen geknallt, weil einige Mitglieder öffentlich dafür warben, sich aktiver bei den Montagsmahnwachen einzubringen. Einige haben mit Austritt gedroht, sollte man sich für die Demos öffnen. Eine gemeinsame »Linie« wurde nicht beschlossen, man habe aber eine Basis für die Diskussion gefunden, bei Fortbestand der Differenzen, berichten Teilnehmer. Viele halten die Demos vor allem für irrelevant.

Einer Aussage können alle etwas abgewinnen: Die traditionelle Friedensbewegung müsse dringend eigene Angebote schaffen. Was sie auch tut. Infoabende und Mahnwachen finden überall in der Republik statt. Ende Mai zog ein bundesweiter Aktionstag mehrere Tausend Menschen auf die Straße, hier mit, dort ohne Beteiligung von neuen Friedensfreunden. Die Montagsfrage beantwortete das allerdings nicht.

Vielleicht erledigt sich das Problem von selbst, wenn Sommerferien und Fußball-WM ihre Wirkung entfalten. Sollten sich die Montagsdemos in den nächsten Wochen tot laufen, könnte allerdings eine andere Frage für die Friedensbewegung in den Vordergrund treten, die bislang überlagert wird: Wie hältst du es mit Russland?

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