nd-aktuell.de / 17.06.2014 / Politik

BGH verhandelt über Fahrradhelm-Streit

Mitschuld bei Unfall wegen fehlendem Kopfschutz? Schadenersatzklage vor dem Bundesgerichtshof / Neue Debatte über Helmpflicht - Verkehrsminister dagegen

Berlin. Ob Radfahrer ohne Schutzhelm bei einem Unfall unter Umständen wegen einer Mitschuld weniger Schadenersatz bekommen, prüft der Bundesgerichtshof am Dienstag. Das Gericht verhandelt über die Schadenersatzklage einer Radfahrerin aus Schleswig-Holstein, die auf dem Weg zur Arbeit schwer am Kopf verletzt worden war. Eine Autofahrerin hatte am Straßenrand geparkt und unmittelbar vor der sich nähernden Radfahrerin die Autotür geöffnet. Die Radlerin prallte gegen die Tür und stürzte. Das Oberlandesgericht Schleswig sprach der Radfahrerin 2013 eine 20-prozentige Mitschuld an dem Unfall zu, weil sie keinen Schutzhelm getragen habe. Dementsprechend weniger Schadenersatz sollte sie erhalten.

Der BGH muss klären, ob das OLG-Urteil Bestand haben kann. Das Urteil, von dem noch nicht klar ist, wann es verkündet wird, sorgt für großes Interesse. Das Votum des VI. Zivilsenats ist brisant, weil es keine gesetzliche Helmpflicht gibt - und diese nach dem Willen der Politik zunächst wohl auch nicht kommen wird: »Die Verkehrsminister sprechen sich mehrheitlich weiterhin für eine allgemeine Empfehlung zum Helmtragen aus«, sagte Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer. Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat seine Ablehnung der Helmpflicht bereits bekräftigt. »Die Einführung einer Helmpflicht steht für mich derzeit nicht zur Debatte«, sagte der CSU-Politiker.

Verkehrsminister Meyer sagte, er setze stattdessen auf Freiwilligkeit. »Für mich steht außer Zweifel, dass geeignete Helme das Verletzungsrisiko von Radfahrern bei bestimmten Unfällen erheblich verringern können«, sagte der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz der Nachrichtenagentur dpa. Er würde es aber bei einer Empfehlung statt einer neuen »erzieherischen Vorschrift« belassen. »Abgesehen von zusätzlichem Bürokratieaufwand, den die Überwachung einer weiteren Verhaltensvorschrift im Straßenverkehr auslösen würde, sind sich die Experten grundsätzlich einig, dass man mit Verkehrserziehung und -aufklärung wesentlich mehr Akzeptanz erreicht«, sagte der SPD-Politiker.

2012 trugen deutschlandweit immerhin 13 Prozent aller Radfahrer einen Helm, hat die Bundesanstalt für Straßenwesen herausgefunden. Damit stieg ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr um zwei Prozent. Doch auch wenn die Akzeptanz des Helms - gerade in Großstädten - gestiegen ist, sind Helmträger in Deutschland nach wie vor die Ausnahme.

Ein Forscher aus Münster hat in einer Studie berechnet, wie sich eine gesetzliche Helmpflicht auswirken würde. Dabei ging es dem Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Uni Münster, Gernot Sieg, nicht um die Frage, ob das Tragen eines Helms sinnvoll ist oder nicht. Der Forscher untersuchte mehrere Effekte und ihre Folgen für die Volkswirtschaft. Zum Beispiel, ob Radler bei einer Helmpflicht auf Auto und Bus umsteigen und damit wegen des Bewegungsmangels der eigenen Gesundheit schaden. Kosten entstehen auch dadurch, dass ein Helm gekauft werden muss, dieser sollte zudem regelmäßig erneuert werden. Andererseits kann ein Kopfschutz auch Kosten sparen, wenn ein Unfall glimpflicher abläuft - das verbuchte der Wissenschaftler unter gesellschaftlichem Nutzen. »Der gesellschaftliche Nutzen durch eine gesetzliche Helmpflicht in Deutschland wäre geringer als die gesellschaftlichen Kosten. Das ändert aber nichts daran, dass das Tragen eines Helms beim Radfahren die Folgen eines Unfalls reduziert«, sagte Sieg der Nachrichtenagentur dpa. Er selbst trägt auf dem Rad einen Helm, aber nicht bei allen Fahrten.

Einen Beweis dafür zu erbringen, wie sehr der Fahrradhelm schützt, findet Bertil Bouillon schwer. Der Chirurg ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und hat immer wieder mit verunglückten Radfahrern zu tun. »Auch wenn Kopfverletzungen nicht die häufigsten Schäden bei Radunfällen sind, so sind sie doch oft besonders schlimm«, meint er. Die Gesellschaft empfiehlt deshalb allen Radfahrern einen Helm. Agenturen/nd