nd-aktuell.de / 23.06.2014 / Politik / Seite 2

Poroschenkos Plan stößt auf Skepsis

Lawrow: Die Realisierung eines Friedensplans wird vor allem von den westlichen Staaten abhängen

Irina Wolkowa, Moskau
Russland hat für Zehntausende Soldaten von Westsibirien bis in die Wolgaregion Militärübungen angeordnet. Die Truppen des zentralen Militärbezirks wurden in »volle Gefechtsbereitschaft versetzt«.

Russland unterstützt die Entscheidung von Pjotr Poroschenko zu einer Waffenruhe. Sie und ein aus fünfzehn Punkten bestehender Friedensplan, den der neue ukrainische Präsident am Freitag vorlegte und bei einem Telefonat auch mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin erörterte, müssten, so Kremlsprecher Dmitri Peskow, »als Gelegenheit für konstruktive Verhandlungen und politische Kompromisse wahrgenommen werden«.

Putin selbst rief die Konfliktparteien gestern auf, sämtliche Kampfhandlungen einzustellen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Tags zuvor hatte er Kiew vor Ultimaten für die pro-russischen Milizen gewarnt: Die von Poroschenko einseitig verkündete Feuerpause endet nach derzeitigem Stand am kommenden Freitag. Innerhalb dieser Frist sollen die Volkswehren ihre Waffen strecken und abliefern. Wer sich widersetzt, werde »vernichtet«, drohte der amtierende ukrainische Innenminister Arseni Awakow, den Russland am Samstag als Kriegsverbrecher auf die Fahndungsliste setzte.

Weitaus skeptischer als der Präsident, dem er direkt unterstellt ist, äußerte sich der russische Außenminister zu Poroschenkos Friedensplan. Diesem, rügte Sergej Lawrow, fehle das Wichtigste: Direkte Verhandlungen der ukrainischen Zentralregierung mit den »Anhängern der Föderalisierung« wie die offizielle russische Sprachregelung für die Separatisten lautet. Das sei ein klarer Verstoß gegen die Genfer Erklärung, auf die sich Russland, die Ukraine, die USA und die EU am 17. April verständigt hatten.

Das Papier sieht zudem eine Verfassungsreform vor, an der alle politischen Kräfte, einschließlich der Regionen, beteiligt werden. In Poroschenkos Friedensplan, den auch dessen westliche Paten unterstützen, ist bisher jedoch nur von »Dezentralisierung der Macht« die Rede.

Moskau, so der Diplomat weiter, sei zudem besorgt, dass die Sonderoperation in der Ostukraine - Kiew spricht von Anti-Terror-Operation - trotz der Waffenruhe weiter geht. Mehrfach wurde dabei auch russisches Territorium beschossen, es gab Zerstörungen und Verletzte. Kiew dagegen wirft den pro-russischen Milizen vor, die Waffenruhe zu ignorieren und ihre Attacken gegen ukrainisches Militär fortzusetzen. Diese gaben vor laufender Kamera des russischen Fernsehens bereits zu Protokoll, sie würden sich auf »weiteren Widerstand« vorbereiten.

Die Realisierung des Friedensplans, glaubt daher Außenamtschef Lawrow, werde vom Westen abhängen. »Europa« und die USA hätten »die Verantwortung für den Umsturz und für die darauffolgende Vorbereitung der Präsidentenwahlen übernommen. Jetzt sollte diese Verantwortung in konkrete Schritte umgemünzt werden«.

Das dürfte nicht einfach werden. Die Spannungen, so glauben unabhängige russische Beobachter, seien derart eskaliert, dass ein Rückzug ohne Gesichtsverluste für beide Seiten der Quadratur des Kreises gleichkomme. Putin, warnte der Politikwissenschaftler Dmitri Oreschkin, würden die Massen ein Einlenken als Schwäche auslegen, seine Zustimmungsraten, die seit dem Russland-Beitritt der Krim bei rekordverdächtigen 86 Prozent liegen, abrupt abstürzen.

Kritische Medien gaben zu bedenken, das Mandat zur Truppenentsendung, das der russische Senat dem Kremlchef auf dem Höhepunkt der Krim-Krise erteilte, sei nach wie vor gültig. Direkte Kampfhandlungen gegen die Ukraine, so die Moskauer Tageszeitung »RBK daily« am Freitag unter Berufung auf namentlich zitierte Quellen im Verteidigungsministerium, seien nicht geplant. Wohl aber erörtere der Generalstab Pläne, wonach russische Truppen in die Ostukraine einrücken könnten, um pro-russische Milizen und reguläre ukrainische Einheiten zu trennen und zur Feuereinstellung zu zwingen. Kiew, so hieß es auch in einem Leitartikel der Wirtschaftszeitung »Wedomosti«, sei an einer realen Deeskalation nicht interessiert und gefalle sich in der Rolle des Frontstaates in einem neuen Kalten Krieg, um mit finanzieller Unterstützung des Westens seine Wirtschaftsprobleme zu lösen.