Die Versuchung

Verkauf der Provinzial an die Allianz könnte die klammen Kassen der Sparkassen füllen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Attacke mit einem Schraubenzieher, Dementis der Geschäftsleitung und angeschlagene Eigentümer - die Zukunft der Provinzial liegt angeblich in der Hand eines Mannes.

Die Beschäftigten in der ältesten Versicherung der Welt sind besorgt: Sie fürchten einen Verkauf an die Allianz. Doch es geht nicht nur um 300 Jobs, sondern auch ums Modell »Sparkasse«: Die 1676 gegründete einst städtische Feuerkasse in Hamburg gehört seit 2005 zum öffentlichen Versicherungskonzern Provinzial Nordwest. Eigentümer sind die Sparkassen in Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein. Und denen werden von Betriebsräten und der Gewerkschaft ver.di Verkaufsabsichten unterstellt - wieder einmal.

Zwar dementiert die Geschäftsleitung der Provinzial, doch beruhigt dies die Lage wenig. Drahtzieher der Pläne ist für ver.di-Chef Frank Bsirske nämlich der Präsident des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe, Rolf Gerlach. Der promovierte Volkswirt hatte bereits 2012 einen Verkauf an die Allianz angebahnt. Das Milliardengeschäft scheiterte am Protest der Beschäftigten und an Kritik aus der Politik. Gerlach, der auch Aufsichtsratschef der Provinzial Nordwest ist, unternimmt nun einen zweiten Anlauf. So jedenfalls sehen es Gewerkschafter: Missliebige Vorstände sollen per Auflösungsvertrag herausgedrängt werden, um die Firma zu zerschlagen. Laut ver.di wären dadurch 6000 Arbeitsplätze in Gefahr, die meisten im Münsterland und in der Landeshauptstadt Kiel. Zum Geschäftsgebiet gehört auch Mecklenburg-Vorpommern.

Öffentliche Versicherer

Die elf öffentlichen Versicherer in Deutschland kommen mit rund 50 Millionen Versicherungsverträgen auf einen Marktanteil von zehn Prozent, gemessen an den Bruttobeitragseinnahmen. Zum Träger- bzw. Aktionärskreis bei fast allen öffentlichen Versicherern gehören Sparkassenverbände, Sparkassen und Landesbanken. Wie die Sparkassen sehen die Versicherer ihren Vorteil in der regionalen Verankerung mit rund 4000 Filialen.

Doch die heile Welt hat Risse: Die Niedrigzinsen machen Lebens- und Rentenversicherungen unattraktiv; die Krise der Landesbanken trifft auch die Versicherer; manche Sparkasse vertreibt lieber andere Produkte als die der Partnerorganisation, und mancher Versicherer gilt als zu klein für den angespannten Markt. Die Gruppe versucht daher, mit Gemeinschaftsunternehmen ihre Kräfte zu bündeln. hape

Vor allem erhitzen sich die Gemüter am Fall des Provinzial-Chefs Ulrich Rüther, der auch den Aufsichtsrat der Hamburger Feuerkasse anführt. Dessen Vertrag läuft Ende 2014 aus. Nach der Ankündigung der ersten geplanten Übernahme soll er Opfer eines Angriffs mit einem Schraubenzieher durch einen Angestellten geworden sein. Später zog Rüther den Vorwurf zurück. Der Vorfall wurde intern wohl nie gänzlich aufgeklärt. Doch Rüther genießt heute offenkundig das Vertrauen der Belegschaft. Für die Eigentümer brachte er wieder Ruhe in das Unternehmen.

Mit der ist es nun vorbei. »Wenn fast der gesamte Vorstand ausgetauscht wird, der bisher sehr erfolgreich gearbeitet hat, dann ist zu vermuten, dass auch das bisherige Geschäftsmodell als öffentlich-rechtlicher Versicherer infrage gestellt wird«, äußert sich der Betriebsratschef der Feuerkasse, Ralf Neidhardt, in einem Interview. Für Frank Fassin, bei ver.di für öffentliche Versicherer zuständig, geht es sogar ums Ganze: »Gerlach stellt mit seinen Plänen den gesamten Sparkassen-Finanzverbund in Frage«, sagt er dem »nd«. Die Pläne seien nicht hinnehmbar.

Sie erscheinen aber aus dem Blickwinkel der Eigentümer plausibel. Zwar gilt der größte öffentliche Versicherer mit seinen drei Millionen Kunden als profitabel, aber ein Verkauf könnte rund drei Milliarden Euro in die klammen Kassen der Sparkassen spülen. Die ächzen in Westfalen unter der Abwicklung der WestLB; die Institute in Schleswig-Holstein werden durch Altlasten der HSH Nordbank belastet. Aktuell benötigt die Sparkasse Südholstein eine weitere Finanzspritze. Der Verkauf der Provinzial Nordwest bleibt daher eine Versuchung.

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