E.on sattelt Super-Gaul Grohnde

Nach erstem Zögern genehmigt Niedersachsens Umweltminister Wenzel das Wiederanfahren des AKW

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Atomkraftwerk Grohnde darf nach einem wohl beispiellosen Politpoker wieder Strom und Atommüll produzieren.

Das für die Atomaufsicht in Niedersachsen zuständige Umweltministerium erteilte dem Energiekonzern E.on am späten Freitagabend die Zustimmung zum Wiederanfahren des Reaktors - am Sonntag war das Kraftwerk wieder am Netz. Das AKW im Kreis Hameln-Pyrmont war Ende April für den Brennelementewechsel abgeschaltet worden. Bei der Revision wurde zunächst ein Totalschaden am Generator festgestellt. E.on ließ einen 550 Tonnen schweren gebrauchten Ersatzreaktor aus Nordrhein-Westfallen herbeischaffen - für den Transport auf der Weser musste eigens Wasser aus der Edertalsperre abgelassen werden, weil das Schiff zu viel Tiefgang hatte und sonst auf Grund gelaufen wäre.

Im Zuge weiterer Überprüfungen entdeckten Techniker gebrochene Federn an neun von 131 sogenannten Drosselkörpern im Grohnder Reaktor, diese Bauteile regeln den Kühlwasserstrom an den Brennelementen. Während der Betreiber den Befund für nicht sicherheitsrelevant erklärte, zeigte sich Landesumweltminister Stefan Wenzel (Grüne) besorgt. Er entsandte eine Task Force in das Kraftwerk, ordnete eine externe Begutachtung an und ließ sich nach eigenen Angaben täglich über die Lage im Kraftwerk Bericht erstatten. Dreimal bestellte Wenzel E.on-Verteter zum Rapport ein.

Gleichzeitig verstärkten Umweltschützer ihre Kampagne gegen das 30 Jahre alte Kraftwerk - wie zum Beispiel mit einem »Super-Gaul«, den sie im April vor dem AKW präsentierten. Grohnde sei mit mehr als 230 bekannt gewordenen Pannen »Störfallspitzenreiter« unter den deutschen AKW. In Hannover demonstrierten am 14. Juni hunderte Menschen gegen den Weiterbetrieb, wenige Tage später überreichten Bürgerinitiativen Wenzel tausende Unterschriften. Am Donnerstag schließlich beantragte E.on unter Verweis auf den Abschluss der Arbeiten, den Reaktor wieder hochfahren zu dürfen. Was Wenzel am Donnerstag zunächst verweigerte. Denn in einer Mail an das Ministerium hatte ein Atomkraftgegner aus Nordrhein-Westfalen unter Berufung auf eine Quelle im Kraftwerk behauptet, E.on habe einen Riss an einer 30 Jahre alten Armatur eilig zusammenschweißen lassen, anstatt das Teil auszutauschen. Die beauftragte Firma sei unter Druck gesetzt worden, die Arbeiten schnell zu erledigen. Statt den Antrag von E.on zu unterschreiben, schaltete Wenzel die Staatsanwaltschaft ein. Immerhin gehe es um »einen Vorgang, der den Verdacht einer Straftat gemäß § 312 StGB nahelegt« - dieser Paragraf stellt die »fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage« unter Strafe. CDU und FDP im niedersächsischen Landtag waren empört. Es entstehe »der Eindruck, dass Wenzel sich nicht von sachlichen Argumenten, sondern von ideologischen Überlegungen und dem politischen Druck der Atomkraftgegner leiten lässt«, polterte CDU-Fraktionschef Björn Thümler. E.on nannte die Vorwürfe »haltlos« und kündigte an, das Wiederanfahren gerichtlich zu erzwingen. Ein entsprechender Eilantrag sei bereits gestellt worden.

Offenbar unter dem Eindruck drohender Schadensersatzforderungen - jeder Ausfalltag eines großen AKW kostet den Betreiber bis zu eine Million Euro -, und weil die Staatsanwaltschaft Hannover nach kurzer Prüfung des Vorgangs keinen Anfangsverdacht sah, schwenkte Wenzel am Freitagabend um. Während E.on nun prüfen will, ob bereits jetzt Schaden entstanden ist, weidet sich Oppositionsführer Thümler an Wenzels schlechter Performance: »Keine 24 Stunden später haben sich alle Vorwürfe in Luft aufgelöst und er kann seine Genehmigung bedenkenlos erteilen - das ist doch eine reine Farce«. Umwelt-Aktivisten äußerten sich gestern bitter enttäuscht. »Wir waren so nah dran, dass das AKW nicht wieder anfährt«, erklärte das Göttinger Anti-Atom-Komitee und kündigte schon für Montagabend neue Proteste an.

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