»Brosamen für die Unterschicht«

Filmemacher Martin Keßler über die Politik der PT in Brasilien, Raubbau und die WM

  • Lesedauer: 6 Min.
Der Regisseur Martin Keßler verfolgt seit 2009 mit Dokumentarfilmen den Bau des Riesenstaudamms Belo Monte im Amazonas-Gebiet. Die aktuelle Folge des Langzeitprojekts, »Count-Down am Xingu IV«, wird gerade in den Kinos gezeigt. Über den Staudamm und Brasiliens Energiepolitik sprach mit ihm für »nd« Tobias Riegel.

nd: In Ihrem Film beschreiben Sie Raubbau, Vertreibungen, ungeahndete Rechtsbrüche und Korruption im Zusammenhang mit dem Staudamm Belo Monte. Wie fanden Sie Zugang zu diesem Projekt und wie sind Sie vorgegangen?
Keßler: Ich arbeite schon 30 Jahre lang als Filmemacher und habe mich viel mit Globalisierungsthemen beschäftigt. 2009 war das Weltsozialforum in Belém, in der Amazonas-Hauptstadt. Da habe ich nach einer Geschichte gesucht, mit der man die Auswirkungen der Globalisierung auf das Amazonasgebiet darstellen kann. 2009 haben wir bereits mit »Eine andere Welt ist möglich? - Kampf um Amazonien« einen ersten großen Dokumentarfilm über das Projekt Belo Monte gedreht.

Seit dem haben wir das Projekt begleitet und in jedem Jahr einen neuen Film gemacht. Hier geht es um einen exemplarischen Konflikt, es ist das größte wirtschaftliche Einzelprojekt Brasiliens. Und man kann daran ganz klar sehen, was der Preis ist, wenn man im Amazonasgebiet weiter so verfährt.

Die Zerstörungen durch das eine Projekt sind offensichtlich. Im Film sagen Sie, dass noch 150 weitere Staudämme geplant sind.
Diese Zahl betrifft das gesamte Amazonasgebiet, nicht nur Brasilien. Und es liegt natürlich daran, dass es eine sehr wasserreiche Region ist. Das Problem beim Amazonas ist, dass das Gefälle so gering ist, dass man riesige Flächen fluten muss. Allein für Belo Monte wird eine Fläche von 600 Quadratkilometern, das ist so groß wie der Bodensee, überschwemmt, aber die damit verbundene Zerstörung des Urwaldes ist zehnmal so groß.

Warum wählt Brasilien diese Art der Energiegewinnung?
In Brasilien hängt die Nutzung der Staudämme damit zusammen, dass die Wasserkraft historisch die Hauptenergiequelle ist. 70 bis 80 Prozent der brasilianischen Energieversorgung wird aus Wasserkraft gewonnen. Das große Problem ist aber, dass die bestehenden Reservoirs zur Zeit nur bis 15 Prozent gefüllt sind. Darum muss Brasilien gerade während der WM sehen, dass es keine Blackouts gibt. Darum werden Gaskraftwerke mit Gasturbinen betrieben, um elektrische Energie zu erzeugen, was enorme Zusatzkosten verursacht.

Es wäre für Brasilien also viel sinnvoller, noch mehr auf einen Energiemix zu setzen. Und dazu gibt es auch Ansätze. Es gibt einen Ausbau der Windenergie, vor allen Dingen im Nordosten an der Küste. Da gibt es das Problem, dass zum Beispiel Windparks schon gebaut sind, aber die Übertragungsnetze überhaupt nicht fertig sind.

Muss man nicht auch die Situation eines energiehungrigen Schwellenlandes wie Brasilien sehen? Sind diese Megaprojekte nicht auch Versuche, den Energiebedarf billig zu decken, um das gesparte Geld in soziale Projekte zu stecken?
Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass in Teilen der Linken hier in Deutschland noch ein ganz falsches Bild der Partei der Arbeit (PT) existiert. Natürlich muss man sehen, dass der frühere Präsident Lula enorm viel getan hat, um Millionen Menschen aus der Armut zu führen, und dadurch eine untere Mittelklasse in Brasilien entstanden ist. Das funktionierte aber über die weitere Integration Brasiliens in den Weltmarkt. Brasilien hat in den letzten Jahren extrem auf den Export von Rohstoffen gesetzt.

Für die Unterschicht in Brasilien fallen da, polemisch gesagt, ein paar Brosamen ab. Erwin Kräutler, der katholische Bischof vor Ort, ein Befreiungstheologe, hatte einst viel Sympathie für die Regierung der Arbeiterpartei. Jetzt kritisiert er massiv, dass sich ähnliche Strukturen wie früher gebildet hätten. So gibt es Indizien dafür, dass die PT sich, obwohl sie mal ganz anders angefangen hat, an die üblichen, korrupten Praktiken in diesem Land angepasst hat. Und das kritisieren jetzt auch soziale Bewegungen.

Welchen Energiemix würden Sie Brasilien empfehlen?
Die größte Energiequelle weltweit ist, Energie zu sparen. Brasilien hat einen riesen Verlust an Energie, weil die bestehenden Wasserkraftwerke zum großen Teil veraltet sind. Allein die Modernisierung dieser Turbinen würde sehr viel zusätzliche Energie bringen. Die Übertragungsnetze sind veraltet. Es gäbe ganz viele Möglichkeiten, in Brasilien Energie zu sparen und trotzdem entsprechend weiter zu wachsen. Oder eben auf die Wind- und Sonnenkraft zu setzen.

Was hat das alles mit der WM zu tun?
Es gibt viele Parallelen zur Fußball-WM. Es gibt große Interessengruppen, die auch mit der Partei der Arbeit (PT) verflochten sind. Etwa die großen Baukonzerne, die die Stadien zur Fußball-WM bauen, und die sich eine goldene Nase verdient haben. Deswegen gehen in Brasilien auch Millionen auf die Straße, und fragen: Warum werden zehn Milliarden Dollar für die WM ausgegeben, während die Gesundheits- und das Bildungssysteme große Probleme haben? Und das von einer PT-Regierung, die ursprünglich angekündigt hatte, diese WM weitgehend mit Privatmitteln zu finanzieren.

Die WM hat Korruption und Repression noch einmal verschärft. Können Sie der Veranstaltung auch etwas Positives abgewinnen?
Ja, die WM hat den Effekt, dass die Probleme klarer werden. Regierungen versuchen sich mit solchen Mega-Events positiv darzustellen. Nun passiert genau das Gegenteil. Im letzten Jahr gab es die größten Demonstrationen seit 20 Jahren in Brasilien. Sie werden bestimmt während der WM weitergehen, auch das ist positiv. Leider setzt die Regierung massiv Militärpolizei ein.

Nach den warnenden Erfahrungen während des »arabischen Frühlings« oder in der Ukraine: Sehen Sie die Gefahr, dass hier eine zwar sympathische Protestbewegung von reaktionärer Seite geschürt wird, um die amtierende Regierung in Bedrängnis zu bringen?
Das weiß ich nicht. Korruption geht quer durch die ganze Parteienlandschaft in Brasilien, ob das jetzt die rechten Parteien sind oder eben auch die PT. Ein Skandal nach dem anderen kommt hoch, in die auch die PT verwickelt ist. Die größten Spender der politischen Parteien, egal ob links oder rechts, kommen aus der Bauindustrie. Und da ist doch klar wie der Hase läuft.

Mit der Linken verhält es sich ähnlich wie in den 70er, 80er Jahren in Westdeutschland. Das ist keine revolutionäre Regierung, das ist eine sozialdemokratische Regierung, die auch andere Parteien als Partner hat.

Angenommen, die Situation eskaliert und die Regierung wird aus dem Amt gefegt. Es gibt im Moment keine organisierte linke Alternative im parlamentarischen System. Wird so nicht der Weg für die Rückkehr der Oligarchie geebnet?
Das glaube ich nicht. Das würde ja heißen: Leute, wenn ihr seht, dass hier in großem Stil Korruption betrieben wird, dann müsst ihr trotzdem ruhig sein, sonst kommt eine Militärregierung an die Macht. Das kann doch nicht wahr sein, dass kann doch nicht die Alternative sein.

Was wäre dann die Alternative?
Es gibt ganz viele soziale Bewegungen in Brasilien, eigentlich ist das eine Bewegung von ganz vielen Ameisen, von ganz vielen kleinen sozialen Initiativen. Und deswegen ist die Aussage, die Linke sei die PT, falsch. Und letztendlich sind ja auch Lula und die PT an die Macht gekommen, weil sie sich nicht nur auf die Gewerkschaftsbewegung, sondern auch auf die Landlosen-Bewegung und viele andere Initiativen gestützt haben.

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