nd-aktuell.de / 24.06.2014 / Kultur / Seite 16

Das Ende der Bescheidenheit

Internetkonzerne

Tobias Riegel

Justin Tunney forderte als prominente Vertreterin von »Occupy Wallstreet« eine »Chance für den Klassenkampf«. Heute ist die 29-jährige US-Amerikanerin Entwicklerin bei Google und wünscht sich öffentlich, der Chef des Software-Unternehmens solle »CEO von Amerika« werden, die Macht im Staate sollte künftig die Technologie-Branche ausüben. Jener Eric Schmidt habe mit seiner »wohltätigen Firma« die »Welt zu einem besseren Ort« gemacht, Google vertrete nämlich eine »post-kapitalistische« Maxime, und gebe »alles kostenlos her«.

Da schluckt man kurz, und weiß nicht, ob man Mitleid oder Wut empfinden soll. Tunney posaunt solch erschreckend verbreiteten Blödsinn auch noch just zu einem Zeitpunkt heraus, in dem die Maske vom freien Internet und den das Netz dominierenden »wohltätigen Firmen« und ihren selbstlosen Lenkern endgültig fällt: Die Monopolisten Google und Amazon fangen an, die Muskeln spielen zu lassen. Dieser Tage wird deutlich, was passiert, wenn die mit Milliardenvorschüssen, Preis-Dumping und dem Verschenken fremder Inhalte aufgebaute Marktmacht rücksichtslos eingesetzt wird - um das unter salbungsvollen Worten bisher »Verschenkte« (den Köder) in Form harter Währung wieder einzufahren.

Aktuelle Gegner im Kampf um den Entertainment-Markt im Internet sind die Buchverlage und Filmfirmen (Amazon) sowie die Musik-Labels und -Verlage (Google). Die Konflikte sind in beiden Fällen ähnlich. Wer sich nicht den Bedingungen der Online-Riesen unterwirft, bleibt eben draußen.

Bei Amazon spüren das nun die Filmproduzenten von Warner Brothers oder die Verlagshäuser Hachette und Bonnier, deren Filme bzw. Bücher nicht vorbestellt werden können. Im Buchmarkt möchte Amazon, etwa gegen die meisten deutschen Verlage, Tiefstpreise für E-Books durchsetzen. Wer da nicht mitmacht, muss sich neue Vertriebswege suchen.

Bei Google fühlen sich die von den Multis Sony, Warner und Universal unabhängigen Musiklabels durch die Tochter YouTube »erpresst«: Akzeptieren sie nicht die Konditionen für Googles geplanten Musik-Streaming-Dienst, hat YouTube die Sperrung der Indie-Künstler angekündigt - vielleicht schon in den nächsten Tagen.

Google und Amazon handeln so, wie Monopolisten handeln. Anstatt Empörung zu heucheln, sollten die Kartell-Wächter eingreifen. Auch stellt sich natürlicherweise kaum Mitgefühl mit Multis wie Warner Brothers ein - aber die haben aus ihrem Gewinnstreben wenigstens nie einen Hehl gemacht. Und im Falle YouTube schließen sich tatsächlich die Giganten gegen die kleinere Konkurrenz zusammen.

Was hier besonders reizt, ist nicht zuerst der Wunsch, Profit zu machen - sondern die zehn Jahre lang verbreitete Mär von Googles Selbstlosigkeit, die in Wahrheit das Abstecken der Claims auf Pump war - und die nicht nur schlichten Gemütern wie Tunney den Geist vernebelte. Unerträglich ist auch der (nur angetäuschte) Schulterschluss der Internet-Milliardäre mit Teilen der Konsumenten gegen die angemessene Vergütung der Künstler (und ihrer Verlage!).

Früher hätte man den unabhängigen Labels geraten: Macht doch eure eigene Netz-Plattform! Doch gibt es im heutigen Internet-Geschäft diese Freiheit noch?